Kasia Orzechowska brach nur Monate nach der Geburt ihres Kindes den Rekord bei einem Ultramarathon

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Kasia Orzechowska hat sich für einen Ultramarathon in der Wüste Namibias angemeldet als sie im 7. Monat schwanger war. Während die meisten Mütter in diesem Stadium ihrer Schwangerschaft Kinderwagen und Betten kaufen, hat sie sich dazu entschlossen, nach der Geburt 250 Kilometer bei extremen Bedingungen durch den Sand zu laufen. Wir haben sie getroffen und sie hat uns erzählt, warum sie teilgenommen hat, was sie durchhalten hat lassen, welche Gedanken sie während des Laufens hatte und wieso diese Erfahrung so wichtig für sie war.

Die richtige Entscheidung?

Ich wollte mich nach der Geburt meines Sohnes nicht selbst verlieren und der Ultramarathon war eine Garantie dafür, dass ich das auch nicht würde. Doch ein paar Wochen bevor ich nach Namibia aufbrach, gaben meine Knie nach als ich gerade auf der Donauinsel trainierte. Ich dachte: „Sendet mein Körper mir ein Zeichen, dass ich nicht bereit bin? Oder sind es die Ängste, dass ich den Marathon möglicherweise nicht beenden könnte und meine Knie es deshalb nicht schafften?“

Und überhaupt wurde mein Körper gerade in zwei geteilt durch die Geburt meines Sohnes. Plus, ich habe Niko noch immer gestillt. Niko ist der kleine Mann, der noch in mir herum geschwommen ist als ich den “Registrieren”-Button gedrückt habe. Die Ultramarathon-Webseite zeigte ein Video von hundemüden Menschen, die alleine durch die Wüste liefen. Und ich wollte –  aus irgendeinem unerfindlichen Grund, den ich nicht mal meinem sehr besorgten Ehemann erklären konnte – eine von ihnen sein.

© willbaldylygo

An diesem Punkt konnte ich auch nicht mal meine Freunde verstehen, die meinten, dass ich verrückt sei wenn ich das tue. Um ehrlich zu sein, an diesem Punkt war ich nicht mal überzeugt davon, dass ich es überhaupt machen werde. Das extreme körperliche Training durchzuhalten, das man braucht, um hunderte Kilometer durch die Wüste zu laufen, ist nämlich fast ein Ding der Unmöglichkeit, wenn du ein Baby hast, um das du dich kümmern musst.

Mutter sein als bestes Training

Was ich nicht ahnte, war, dass Niko mir genau das Training gab, dass ich brauchte, um bei diesem Ultramarathon durchzuhalten. Die mentale Ausdauer, die ich als Mutter gelernt habe, stellte sich als bestes Training heraus und pushte mich als meine Füße im Sand versanken, mein Mund ausgetrocknet war und ich das Gefühl hatte, keinen einzigen Schritt mehr machen zu können. 

„Nur mehr einen Schritt. Nur mehr einen Schritt.“

Das war mein Mantra, das ich so oft gemurmelt habe als ich von der Anstrengung und den unendlich scheinenden Ozeanen aus Sand eingenommen wurde. 

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Mein Rucksack wog 9 Kilo, 2,5 Liter Wasser hatte ich noch obendrauf. Ich hatte getrocknetes Essen, eine medizinische Ausrüstung, eine kleine Zahnbürste, Feuchttücher, Fotos meiner Familie und meines Hundes und eine manuelle Brustpumpe dabei. Ich musste nämlich zweimal am Tag Halt machen und Muttermilch abpumpen. 

“Ich hatte den Luxus ganz bei mir selbst zu sein”

Es gab nur 35 Läufer*innen bei diesem Ultramarathon. So kam es, dass ich oftmals alleine unterwegs war, umgeben von Sand auf jeder Seite. Ich fühlte mich klein. Es erinnerte mich daran, dass egal was ich tue, es nicht wichtig ist. Nur für mich. Es kommt mir vor wie eine Art Korrektur der eigenen Perspektive. 

Als ich gelaufen bin, hatte ich sehr viel Zeit, nachzudenken. Speziell dann als mein MP3-Player den Geist aufgegeben hatte. Die Podcasts und Musik, die ich gehört habe, waren meine einzige Verbindung zur Außenwelt. Wenn diese Verbindung abbricht, ist das sehr beängstigend. Vorerst. 

Dann aber war ich gezwungen, mich mit meinem Inneren zu beschäftigen und einige Zeit in meinem Kopf zu verbringen. 

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Ich dachte darüber nach wie dankbar ich dafür bin, dass meine Lebenssituation es mir erlaubt, dieses Rennen überhaupt zu laufen.

Ich dachte über mein Leben nach, über die Menschen darin. Und über die Menschen, die ich verloren habe.

Ich dachte über meinen Vater nach, der vor nicht allzu kurzer Zeit verstorben ist.

Ich dachte an ihn und wie aufgeregt er gewesen wäre, dass ich das hier mache und dass ich ihn davon abhalten hätte müssen mit mir nach Namibia zu kommen. 

Ich dachte darüber nach, dass er es war, der mich fürs Laufen begeistert hat.

Ich dachte darüber nach, dass das Elterndasein dich darauf trainiert psychisch stressige Situationen auszuhalten. Wie es dich darauf trainiert über dich hinauszuwachsen.

Ich dachte über all die Situationen nach, in denen ich als Elternteil gedacht habe, ich schaffe es nicht mehr und dass mich genau diese Momente für diesen Ultramarathon vorbereitet haben.

„Am Ende eines jeden Tages habe ich mir gedacht, welch ein Luxus es doch ist, diesen Lauf hier zu beenden und nur bei mir selbst zu sein.“

Tagsüber Konkurrent*innen, nachts Kamerad*innen

Ich habe die Nächte, in denen alle Läufer*innen zusammen kamen immer sehr genossen. Untertags waren wir Konkurrent*innen, aber in der Nacht haben wir uns gefühlt als wären wir alle ein Team. Die einzelnen Läufer*innen hätten nicht unterschiedlicher sein können. Manche waren in ihren Zwanzigern, andere in ihren Sechzigern. Einige waren erfahrene Ultramarathon-Läufer*innen und ich war eine der wenigen, die zum ersten Mal dabei war. Ich weiß, dass das alles Leute sind, die ich sehr lange in Erinnerung behalten werde. 

Wenn man so eine tiefgreifende Erfahrung miteinander teilt, wächst man mit denjenigen Personen so eng zusammen wie mit lebenslangen Freunden.

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Hannes Smit, ein namibischer Läufer blieb mir besonders im Gedächtnis. Wir sind an den meisten Tagen in derselben Geschwindigkeit gelaufen und haben daraufhin eine Beziehung zueinander aufgebaut. Er erzählte mir, dass er fasziniert war, dass ich jeden Tag stärker und stärker werde. Er hatte dabei keine Ahnung, was für eine Kraft diese Wörter auf mich haben. Er hatte keine Ahnung, dass seine Worte die Lücken füllen an denen normalerweise die Worte meines Vaters wären, wenn er hier wäre. 

 

Und aufgrund seiner Worte habe ich mich tatsächlich stärker gefühlt. Ich habe mich stärker gefühlt als ich durch die Schluchten mit ihren ausgetrockneten Flussbetten gelaufen bin. Ich habe mich stärker gefühlt als ich an liegen gelassenen Autos vorbeigelaufen bin, die mich an ein Mad Max Filmset erinnert haben. Am letzten Tag fühlte ich mich am erschöpftesten, aber auch am stärksten. 

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Frauen übertreffen Männer zunehmend bei Ultramarathons

Schlussendlich habe ich einen Rekord gebrochen – die schnellste Zeit, die jemals von einer weiblichen Teilnehmerin des Ultramarathons gelaufen wurde. 

Lustigerweise bin ich darauf weniger stolz als auf die Tatsache, dass ich am letzten Tag, der sich über 92 Kilometer erstreckte, die Erste im Ziel war. Ich holte alle meine Kamerad*innen ein, sowohl Frauen als auch Männer. 

Frauen haben erst in den späten 60er Jahren angefangen an Marathons teilzunehmen. Kathrine Switzer war die erste. Sie hat sich 1967 herausfordernd in den Boston Marathon geschlichen. Das ist wirklich noch nicht so lange her.

Kleiner Fakt: Frauen übertreffen Männer zunehmend bei Ultramarathons. Während die meisten Sportarten von Männern dominiert sind, gewinnen Frauen regelmäßig Ultramarathons. 

Es gibt viele Theorien warum das so ist. Dass Frauen durch ihre monatliche Periode mehr an den Schmerz und diesen auszuhalten, gewohnt sind (ich bin mir sicher, dass diese Erklärung von einem Mann kam) oder dass wir besser im Multitasking sind, was natürlich eine Schlüsselqualifikation beim Laufen von Ultramarathons ist. Ich weiß es nicht.

Was ich weiß, ist, dass ein Elternteil zu sein mich gelehrt hat, weiterzumachen. Auch wenn du denkst, es gibt keinen möglichen Weg mehr.

© BAM! | Christopher Hanschitz