Behindert bin ich trotzdem – Warum du mir das Leben mit Behinderung nicht einfach absprechen kannst

  • Lesedauer: 3 Minuten

Ich lebe mit chronischen Schmerzen in den Füßen, meine Mobilität ist deshalb stark eingeschränkt und ich bin deswegen oft auf einen Rollstuhl angewiesen. Manchmal benutze ich diesen nicht, behindert bin ich trotzdem. Behinderte Menschen werden oft grundlos beschuldigt, ihre Behinderung nur zu simulieren. Welche Auswirkungen das auf die psychische Gesundheit hat, bedenkt dabei keiner.

Behinderte Menschen sind oft Opfer irgendwelcher haltlosen Anschuldigungen. Ihnen wird manchmal nachgesagt, über den eigenen Zustand zu lügen. Auch ich wurde schon des Öfteren beschuldigt, nur zu simulieren. Als meine Fußschmerzen 2016 angefangen haben, wurde mir gesagt, ich würde übertreiben und mir eine Ausrede suchen, um nicht in die Schule gehen zu müssen. Bei Ärzten (ich gendere hier bewusst nicht) hab ich auch schon öfter erlebt, dass mir das Gefühl gegeben wird, ich würde simulieren.

“In Österreich noch auf den Rollstuhl angewiesen – im Urlaub kann sie wieder laufen”

 Diesen Sommer ist es mir wieder einmal passiert. Es war bis jetzt für mich der schlimmste Vorwurf. Ich war zu dieser Zeit gerade mit einer Freundin in Griechenland und genoss meinen wohlverdienten Urlaub. Wie stark meine Schmerzen sind, ist von vielen Faktoren abhängig. Zum Beispiel sind sie wetterabhängig. Bei Sonne sind sie schwach, bei Kälte werden sie schlimmer. 

© Chiara Seidl | Edit: Cansu Tandogan

Auch die Psyche spielt eine Rolle. Urlaub ist Urlaub, mir ging es gut und so waren auch meine Schmerzen schwach. Ich konnte also gehen. Auf Instagram aber wurde ich öffentlich von einer Person angegriffen mit den Worten: “In Österreich noch auf den Rollstuhl angewiesen – im Urlaub kann sie wieder laufen.”

Wenn die Leute aus der eigenen Community zu Täter*innen werden

Das Schlimmste? Dieser Mensch ist ebenfalls behindert und sitzt im Rollstuhl. Gerade er, Mitglied meiner eigenen Community, sollte wissen, dass Behinderung in allen Facetten daherkommt. Er sollte wissen, dass man behindert sein kann, auch wenn man nicht ununterbrochen auf den Rollstuhl angewiesen ist.

Ich weiß nicht, wieso er sich gerade mich als Opfer ausgesucht hat. Wahrscheinlich hat dieser Mensch Ableismus verinnerlicht, das ist nicht selten. Man spricht von verinnerlichtem Ableismus, wenn behinderte Menschen die Diskriminierung und Vorurteile, die sie selbst erleben, unbewusst verinnerlichen.

So kann es vorkommen, dass auch sie ableistische Handlungsweisen reproduzieren. Vielleicht hat er Angst, dass ich ihm etwas wegnehme, wenn ich mich als behindert identifiziere. Aber ich weiß es nicht genau. Um ehrlich zu sein ist es ist mir auch egal.

© Chiara Seidl | Edit: Cansu Tandogan

Was diese Anschuldigungen mit mir machen

 Solche Anschuldigungen verändern behinderte Menschen. Dieser Stress, der uns zugefügt wird, kann psychische, aber auch physische Folgen haben. Neben den kreisenden Gedanken, ob diese Menschen vielleicht recht haben könnten, erleben viele psychosomatische Symptome. Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Schlafstörungen – alles kann auf dem Programm stehen, wenn man als behinderter Mensch in einer Welt lebt, in der man permanent beschuldigt wird, über den eigenen Zustand zu lügen.

© Chiara Seidl | Edit: Cansu Tandogan

Es gibt auch andere Konsequenzen. Behinderungen sind in der Gesellschaft sowieso schon stigmatisiert und tabuisiert. Solche Vorwürfe sind beim Kampf dagegen nicht gerade hilfreich. Im Gegenteil: Die Vorwürfe bringen uns zum Schweigen. Wir schweigen, weil wir nicht wissen, wer uns gegenüber sitzt. Wird uns wieder vorgeworfen, zu simulieren? Wird uns geglaubt? Oft wollen wir das gar nicht herausfinden, um uns vor weiteren Traumata zu schützen.

Wie ich mein Leben lebe

In meinem Fall hatte ich mit viel Scham und Zweifel an der eigenen Person zu kämpfen. Ich habe mir selbst die Schuld gegeben. “Wenn ich nicht so öffentlich auf meinem Instagram Account über meine Erfahrungen und Fortschritte erzählt hätte, würde es mir jetzt nicht so gehen.”

Ich hatte Schwierigkeiten, diese Gedanken abzuschalten. Solche Anschuldigungen nehmen mir auch die Energie, die ich brauche, um meinen Aktivismus weiterzuführen und Menschen über Diskriminierung weiterzubilden. 

Was ich mir wünsche? 

 Der öffentliche Insta-Angriff ist jetzt rund zwei Monate her. Heute weiß ich, dass es nicht meine Schuld war, angegriffen zu werden und dass ich auch keine Verantwortung trage, wenn andere Menschen Angst haben, ich würde ihnen etwas wegnehmen. Ich kann nichts dafür, wenn Personen, auch wenn aus der eigenen Community, mich auf Social Media terrorisieren und mir ihre Follower*innen auf den Hals hetzen.

Meine öffentliche Arbeit und mein Aktivismus sind gut und helfen auch anderen Menschen, sich zu öffnen und gegen Diskriminierung vorzugehen. Für behinderte Menschen selbst, aber auch für alle Allys, die uns im Kampf unterstützen wollen. Wir müssen über Behinderungen sprechen, damit wir das Thema entstigmatisieren und wir müssen aufzeigen, dass auch Menschen, die nicht 24/7 im Rollstuhl sitzen und sich Urlaubsreisen gönnen, behindert sind.

© Chiara Seidl | Edit: Cansu Tandogan

Was ich mir wünsche? Dass Betroffenen zugehört wird und ihnen ein sicherer Raum geben wird, in dem sie offen über Ableismus reden können. Glaubt uns, wenn wir sagen, dass es uns nicht gut geht. Glaubt mir, wenn ich sage, dass ich behindert bin. 

Über Sascha

Sascha ist eine 21-jährige Geschichte und Englisch Studentin. Sie ist politische Aktivistin und redet speziell auf ihrem Instagram Account über Queerfeindlichkeit, Sexismus und Ableismus. 2016 erkrankte sie an einer Virusinfektion und hat seitdem chronische Schmerzen.