Besinnliche Stressnachten oder geliebter Weihnachtsstress?

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Ende Oktober hängen in den Einkaufsstraßen Wiens die ersten Weihnachtsbeleuchtungen. Die Wirtschaft versucht aber schon ab August Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen. Wie das bemerkbar ist? Der Lebkuchen Anfang September in Kassennähe ist hier wohl das beste Beispiel. Aber wie beschreibt man diese „Weihnachtsstimmung“ denn am besten?

Für mich mache ich die besinnlichste Zeit im Jahr an Deadline-Stress, Familien-, Geschenke- und Prüfungsstress, an zu vielen Leuten in den Läden und der unsäglichen Kälte fest.

Und doch romantisiere ich diese überaus herausfordernde Zeit jedes Jahr aufs Neue. Weihnachten war für mich immer eine Achterbahn der Gefühle, eine Zeit, die mich stresst und nervt. Aber seit dem Ableben meines Vaters schätze ich das Genervt-sein und diese Achterbahn umso mehr.

© BAM! Team

Weihnachtstriathlon à la Patchworkfamily

 

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich als Patchwork-Familien-Kind drei Weihnachtsfeiern in einem Tag hinter mich bringen musste. Vormittag bei meinen Großeltern, am frühen Nachmittag bei meiner Mutter und abends bei meinem Papa. Und kontrastreicher hätte das Programm gar nicht sein können. Die einzige Ausnahme: das Essen. 

Bis zu drei Mal gab es Fisch, divers waren dabei nur die Beilagen. Erdäpfelsalat bei den Großeltern, gemischter Salat bei Mama und meist einen Kraut-Rübensalat beim Papa. So schön sich das auch liest, ist Weihnachten aber immer noch ein Fest der Emotionen – die Tage davor und danach wird gestritten, die meisten sind gereizt, – denn die Erwartungen liegen bei allen hoch.

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Das Weihnachtsgeschenk-Business

 

Das Weihnachtsgeschenke-Business hat für mich immer so funktioniert (gerne nachmachen, aber nicht meiner Familie verraten!): Ein Monat vor Weihnachten ein Familienmitglied nach deren Geschenkidee fragen, anbieten, etwas beizusteuern, und sich damit einen Platz auf der Weihnachtskarte sichern. Das macht man in der Familie einmal im Kreis durch und hat damit einen Großteil der Geschenke für das Jahr erledigt. 

 

In petto habe ich zusätzlich immer Süßigkeiten, Aufmerksamkeiten und der größte Hit zu Weihnachten: ausgedruckte Familienfotos in den verschiedensten Variationen. Als Kalender, kleines Bild, großes Bild oder Schlüsselanhänger – bei Oma ist alles ein Hit.

 

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Wenn der Weihnachtsstress fehlt

 

Das Weihnachten 2015 riss einen groben Schnitt in unsere jahrelange Tradition. Nachdem mein Vater kurz zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, war Weihnachten nicht mehr das gereizte und fischüberfüllte Weihnachten, das es zuvor war. Aus drei Weihnachtsfeiern wurden zwei. Die nervigen Geschenke zu organisieren, blieb zu einem Drittel aus und ging mir nun deutlich ab. 

 

Kein Gruppengeschenk (a.k.a. kein Parfum) für den Papa mehr. Solche Schicksalsschläge geben einem mit, dass man die Personen, die man um sich hat, dann umso mehr schätzt. Es rückt die Familie näher zusammen. Weihnachten 2015 war wohl das traurigste Weihnachten, aber auch das innigste.

 

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Seither versuche ich mein Erwartungsmanagement so zu gestalten, dass ich und die Personen um mich nicht enttäuscht, überreizt oder gestresst in die Weihnachttage gehen. Es soll ein Fest des Zusammenkommens sein – und kein Wettkampf der schönsten Geschenke oder des Gestresst-seins. 

Auch wenn Mariah Carey (no hate, love her) schon im September im Radio das erste Mal gespielt wird, muss man selbst nicht in Weihnachtsstimmung sein. Wenn die eigene Weihnachtsstimmung erst drei Tage vor Weihnachten nach der letzten Uni-Abgabe kommt: Großartig! Niemand muss sich zwingen, in Weihnachtsstimmung zu sein – und niemand muss sich selbst eine noch stressigere Weihnachtszeit machen, als sie ohnehin schon ist. Daher mein Appell: Keine zu hohen Erwartungen an andere und vor allem an sich selbst setzen. Damit Weihnachten ein schönes und stressfreieres Fest werden und bleiben kann.

Über Flo

Florian Boschek ist freier Autor, Kolumnist, Redner, interdisziplinärer Künstler und Student aus Wien. In seinen Arbeiten konzentriert er sich auf Umwelt- und Gleichberechtigungs-Themen.