Ghostletters – vergessene Wiener Schilder und ihre Geschichten

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Über die Gebäude von Wien und vielen anderen Städten Österreichs sind oft noch immer die Reste von Schildern gekritzelt. Man könnte sie auch als Tätowierungen von früheren Zeiten bezeichnen, oder eben auch “Ghostletters”. Sie sprechen für die Geschichte von Leben und Unternehmen, die einst so beschäftigt waren wie wir heute alle.

Es ist faszinierend, wenn man einmal auf der Straße in der Stadt innehält und darüber nachdenkt. Ein Typ hat viel darüber nachgedacht, sodass er schließlich ein Buch über diese Beschilderung herausbrachte. Nach der erfolgreichen, Bank Austria Crowdfunding Kampagne auf der Plattform wemakeit, produzierte der in Wien lebende Grafikdesigner Tom Koch zusammen mit den beiden Fotografen Stephan Doleschal und Daniel Gerersdorfer ein Buch, das die alten Wiener Zeichen fotografisch festhält und die Geschichten hinter ihnen erzählt.

Daniel Gerersdorfer

„Man muss dabei auch zwischen alten Signs und ihren Rückständen  – den Ghostletters – unterscheiden: Die Flüchtigkeit der Ghostletters, ihre ständige Bedrohung durch Übermalung und die Tatsache, dass manche von ihnen dennoch Jahrzehnte überlebten macht deren besonderen Reiz aus.“

1.) Woher kommt die Faszination für diese „Ghostletters“ (aka alte Schriftzüge) in Wien?

Als Grafiker mit einem Schwerpunkt auf Typografie interessiere ich mich natürlich für Schriftbilder. Vor allem auch im öffentlichen Raum, da jede Stadt ihre typografischen Eigenheiten hat.

Was an alten Beschriftungen faszinierend für mich ist, ist die Tatsache, dass sie mit der Hand erstellt wurden, was hohes typografisches Gefühl und handwerkliche Fähigkeiten voraussetzt. Obwohl diese alten Schifften mit vergleichsweise einfachen Mitteln erstellt wurden, zeichnen sie sich doch durch mehr Vielfalt und Individualität als heutige Beschriftungen aus.

Daniel Gerersdorfer

2.) Was war die interessanteste Beschilderung, die ihr bei der Erstellung des Buches in Wien entdeckt habt? 

Das Schild der Klavierfabrik Stelzhammer in der Barnabitengasse, eine sehr große, um 1900 datierende Hinterglasvergoldung, ist historisch interessant aber auch unterhaltsam. Es handelt sich dabei um den größten Schreibfehler Wiens, der name Stelzhammer ist falsch geschrieben. Außerdem reflektiert das Gold bei günstigem Sonnenstand die Buchstaben fast schon poetisch auf das Kopfsteinpflaster der Straße.

 

Stephan Doleschal

3.) Eure Fotos alter Schilder wecken ein interessantes und überraschendes Gefühl der Nostalgie für eine Zeit, die wir nie erlebt haben. Wolltet ihr das so? 

Wenn ein Geschäft sperrt, gerät es recht rasch in Vergessenheit. Viele Kommentare im Zuge unserer wemakeit Crowdfunding Kampagne meinten, durch die Aktion wäre ihnen das Geschäft, die Besitzer, ihre Jugend usw. wieder gegenwärtig geworden. Leser*innen sollten die Möglichkeit haben, die Augen zu schließen und sich vorzustellen, wie die Läden einst ausgesehen haben.

Die Recherchen zeigten auch bald, dass die meisten dieser Geschäfte über mehrere Generationen betrieben wurden, ihre Besitzer waren „im Grätzl“ bekannt. 100 Jahre sind da eher die Norm. Auch das lässt uns in der heutigen Geschäftswelt, wo Läden oft nur ein, zwei Jahre existieren, ein wenig nostalgisch werden.

 

Daniel Gerersdorfer

4.) Was ist die interessanteste Geschichte eines von euch gefundenen Schildern?

Interessant ist die Apotheke zum goldenen Löwen in der Josefstädter Straße, hier wurde das Gaslicht in Wien erfunden und man arbeitete schon früh mit alternativen Heilmethoden. Ferdinand Georg Waldmüller malte vier Ladenschilder, die als Replica ausgestellt sind. Die Originale befinden sich im Belvedere.

5.) War es schwierig, das Projekt zu finanzieren? Gibt es Tipps, die ihr jemandem geben können, der versucht, ein kreatives Projekt zu finanzieren?

Wir hatten Glück und konnten schon vor Ablauf der Zeit erfolgreich abschließen da wir auch den Bank Austria Förderpreis erhielten. Man kann sagen, dass Crowdfunding harte Arbeit ist, man muss wirklich dranbleiben.

Letztendlich hatten wir uns dafür entschieden, Österreichs erste kombinierte Crowdfunding und Crowdsourcing Kampagne zu starten, um schon im Vorfeld der Bucherscheinung Aufmerksamkeit zu generieren. Beide Kampagnen zeitgleich zu betreuen war kein Pappenstiel, aber es hat sich ausgezahlt.

 

Daniel Gerersdorfer

6.) Was fasziniert dich an Typografie und welchen Unterschied macht es, wie wir ein Wort konsumieren?

Wir sind überall von Schrift umgeben und nehmen sie dennoch meistens nur unbewusst wahr. Schrift kann aber – genauso wie Bild und das Wort selbst – ganz bestimmte Gefühle vermitteln. Die Arbeit von von Sarah Hydnmann zeigt das ganz beeindruckend.

 

7.) Wie habt ihr all diese Schilder in der Stadt gefunden?

Wir haben über unseren Partner Wien Museum dazu aufgerufen, Stellen einzusenden. Daraus haben wir dann etwa 100 ausgewählt und nachfotografiert.

 

8.) Aus welcher Zeit stammt der größte Teil der Beschilderung?

Da es sich bei Ghostletters ja um Abdrücke dreidimensionaler Schriftzüge handelt, stammen die meisten von ihnen aus den 1950er und 1960er Jahren. Damals waren Neonschilder noch weit verbreitet.

Daniel Gerersdorfer
Daniel Gerersdorfer

Nachdem er das Buch Ghostletters Vienna herausgebracht hatte, drehte Tom 2018 eine Dokumentation über Josef Samuel, den letzten Schildermaler Wiens. Der Film, den er in Zusammenarbeit mit Better Letters aus London produzierte, wurde auf verschiedenen Filmfestivals gezeigt. Seit September ist es möglich, diese Dokumentation online zu sehen.