Meine Identität steht nicht zur Diskussion: Wie mir das Türkin sein abgesprochen wird

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Identität ist und bleibt in erster Linie Privatsache. Doch das Private ist dann doch oft politisch, zumindest wenn man nicht gerade Hans Peter oder Lisa Marie, sondern Ahmet Can oder Aysu Gül heißt. Das führt in Österreich schnell zu Diskussionen und Verfeindungen. Ich heiße Cansu und lebe diese Lebensrealität: 

Samstag Abend, kurz nach Mitternacht. Ich befinde mich vor meinen Fotografien auf meiner ersten Ausstellung. Ein letztes Mal möchte ich in Ruhe die Werke betrachten. Plötzlich tippt mir jemand auf die Schulter und unterbricht meine Gedanken. Entschuldige, aber was bedeutet der Titel dieser Bilder, also, welche Sprache ist das?“, fragt mich ein Typ mit leichtem Akzent. „Es ist türkisch. Es bedeutet ungefähr ‘Wien aus meinen bedrückten Augen’”, antworte ich. Ein bisschen freut es mich schon, dass er Interesse am Titel zeigt.

Sein Blick gleitet langsam von meinem Kopf zu meinen Füßen und wieder hoch. Da hört die Freude auch wieder auf. Ah, da ist der Blick – immer dieser komischer Blick. Ich weiß genau, was jetzt kommen wird. Ich höre es, seitdem ich denken kann. 

© Cansu Tandogan

Es vergehen kaum drei Tage, bis es das nächste Mal passiert. Wenn ich jedes Mal zwei Euro bekommen würde, wenn jemand Fragen zu meiner Herkunft stellt, wäre ich ziemlich sicher Millionärin.

Ich bin ganz sicher Türkin, danke der Nachfrage. 

„Was? Du bist Türkin? Du siehst aber gar nicht aus wie eine Türkin! Ich war schon so oft in der Türkei und die sehen alle nicht aus wie du!” Ich atme kurz durch. Das passiert oft. Ich bin es gewohnt.

© Cansu Tandogan

In derselben Woche befinde ich mich im Café. Ein junger Mann fragt mich aufgrund meines Namens nach meiner Herkunft. „Ich bin türkische Wienerin”, erkläre ich in einem ruhigen Ton. Angefangen mit den Standardfragen arbeitet er sich gewiss und schnell hoch zu meinen Nerven. „Du machst doch Witze! Wie kann das sein, dass du so helle Haut hast, und du hast ja auch blaue Augen und helle Haare? So sehen keine Türk*innen aus. Da schaut mein Bruder türkischer aus als du!”

Diese Worte verletzen mich. Weil ich seinem Schubladendenken nicht entspreche, stellt er meine Identität infrage. Dieser eurozentristische Blick ignoriert den vielfältigen Fakt, dass sehr viele verschiedene Völker und ethnische Gruppen in der Türkei leben. Stereotypen werden dadurch reproduziert, die schlichtweg nicht der Wahrheit entsprechen. Dabei vergisst er, dass sein österreichischer Bruder nach seinen Standards sich also auch nicht als Österreicher identifizieren darf.

Wollt ihr einen DNA-Test oder was? 

Mein Vater ist aus einem türkischen Dorf in Griechenland und meine Mutter ist aus Izmir. Sie sind beide Anfang der 90er-Jahre unabhängig voneinander aus der Türkei nach Wien emigriert, haben sich hier kennen und lieben gelernt und seitdem ihr Leben hier aufgebaut. Also nein, nicht jede türkische Familie, die euch über den Weg läuft, ist ursprünglich eine Gastarbeiter*innen-Familie. 

Meine Großeltern, meine Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen, so gut wie alle leben nach wie vor in der Türkei. Wir sprechen alle mehr (und weniger) türkisch, feiern türkische und muslimische Feste und, wie in fast jeder Familie auf dieser Welt, sehen wir alle anders aus. Manche von uns haben dunkle Locken, andere schneeweiße Haare, manche sind groß und manche von uns sind klein. Dass ich das hier erwähnen muss, fühlt sich fast schon lächerlich an, aber ich hoffe, wir haben das hiermit geklärt.

© Cansu Tandogan

Das Problem, als Türkin in Wien aufzuwachsen 

Somit habe ich von klein auf genug Diskriminierung mitbekommen und selbst durchlebt. Mir meine Identität abzusprechen, heilt nicht die vielen Wunden, die es mit sich bringt, als „Ausländerin“ in Wien aufzuwachsen.

 

Diskriminierung sieht bei mir unterschiedlich aus: Von „kleinen” Vorfällen bis hin zu Übergriffen ist alles dabei. Um ein paar Beispiele zu nennen: Auf dem Schulweg Wahlplakate mit Türk*innen-feindlicher Werbung zu sehen. Zu hören, wie meine Mutter aufgrund ihres Akzents am Elternsprechtag gedemütigt wird. Meine große Schwester im Alter von zehn Jahren zu beobachten, wie sie ganz alleine Schuldokumente übersetzen musste. Verbote meiner Mutter in der U-Bahn türkisch zu sprechen, weil sie Angst hat, von anderen verurteilt zu werden. Bis hin zu Kommentaren von Fremden, die meinen Freund fragen, ob er meine Familie kennt und eh keine Angst vor meinem Vater hat.

© Cansu Tandogan

On top of that: Zum 16. Geburtstag habe ich von meinen österreichischen Freund*innen eine Döner-Gewürzmischung und eine Fake-Staatsbürgerschaft geschenkt bekommen. Unglaublich.

Diese Dinge häufen sich, werden von Tag zu Tag mehr und ich frage mich, wann das endlich ein Ende hat. Ich spreche sicher nicht nur für meine Familie und mich. Dies sind kollektive Erfahrungen und für viele türkische Personen Lebensrealität und für BIPoC* oder Kopftuchträger*innen noch einmal um einiges schlimmer.

Undercover bei den Almans

Solche Vorfälle lösten einen schweren innerlichen Konflikt in mir aus und lange Zeit tarnte ich mich deshalb absichtlich in meinem Aussehen. Nach dem Motto „Ihr findet, ich sehe nicht aus wie eine Türkin? Easy, dann bin ich halt keine Türkin mehr!” Ich hörte auf, Türkisch zu sprechen. Aus Cansu wurde Su, aus Anne und Baba wurde Mama und Papa. Und wenn wer nach meiner Herkunft fragte, kam ein knappes: „Ich wurde in Wien geboren.”

© Cansu Tandogan

Wie alle weißen Menschen profitiere ich von dem System, genieße Privilegien, die BIPoC* noch immer nicht genießen dürfen. So kann ich mich mit einem Spitznamen durch die Straßen Wiens als Türkin trotzdem unerkannt bewegen und bekomme meist keine direkten Beleidigungen zu hören.

Döner ohne scharf, dafür mit Diskriminierung bitte!

Leute, die ein Problem mit Migration haben und rassistisch sind, zeigen vor mir ihr wahres Gesicht. Sie denken, ich bin aufgrund meines Aussehens gleich gesinnt und nehmen kein Blatt vor den Mund. Die unzähligen Male, wo ich schon an einem Tisch mit Leuten saß, die schlichtweg diskriminierendes Verhalten reproduzierten, sind immer wieder überrascht: „Ach, das habe ich ja nicht so gemeint”. Bevor ich meine wahre Identität entblöße, zeigen mir die Leute, dass, egal wie progressiv und tolerant sie vorgeben zu sein, hinter ihren geschlossenen (vor allem weißen) Türen Fremdenfeindlichkeit wütet. 

Witziger Partytrick

Selbst in der Oberstufe, einem liberalen und weltoffenem Gymnasium im ersten Wiener Gemeindebezirk, musste ich als eine der wenigen Personen mit „schlechtem” Migrationshintergrund Kommentare und unlustige Witze ertragen, mich rechtfertigen und erklären.

Oftmals wurde ich auch als Partytrick eingesetzt, wie ein Strauß Blumen, der aus dem Ärmel gezogen wird: „Du glaubst nicht, woher die Su kommt! Rate! Das glaubst du nie!” 

© Cansu Tandogan

Während die Schüler*innen aus der Nebenschule in der Pause laut auf Türkisch lachten, saß ich bei meinen Schulkolleg*innen und hörte mir an, wie „primitiv” die anderen nicht wären. Nur, weil sie eine andere Sprache sprachen, andere Musik hörten und keine Windbreaker und Mom-Jeans trugen. Relativiert wurde ihr Verhalten durch ein unschuldiges: „Dich meinen wir ja nicht, du bist super integriert!” 

Danke und Tschüss!

Heute stehe ich zu meiner Identität als türkische Wienerin. Ich heiße Cansu. Mein Zwillingsbruder heißt Can, meine große Schwester Tamara, mein Vater Vedat, meine Mutter Fatma und egal, wie sehr oder wenig wir eurer Vorstellung der Türkei und ihrer Bevölkerung entsprechen, sind wir unserer Identität keine Rechenschaft schuldig. Wir sollten, wie jede Familie in Österreich, in Frieden, ohne Verfeindungen basierend auf unserer Herkunft, Leben dürfen. That’s the bare minimum people. Bussi, Danke.

Über Su

Die gebürtig türkische Wienerin ist aus der grünen Donaustadt ins gut-duftende Favoriten übersiedelt, um ihrer Leidenschaft, dem visuellen Storytelling, nachzugehen. Mit einem großen Sinn für Gerechtigkeit und einem Gespür für Menschen ist es ihr besonders wichtig zu lernen, wie man Emotionen authentisch einfängt und auf sozio-politische Themen künstlerisch aufmerksam macht. Ihre aktuellen Projekte kann man unter @lautestimmen verfolgen.