Wie in der Film- und TV-Geschichte trotz Verboten queere Geschichten erzählt wurden

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Nicht immer gab es so viele verschiedenartige Repräsentationen von Figuren aus der LGBTQIA+ Community in Film und Fernsehen wie heute. Besonders vor den Stonewall Riots im Jahr 1969, der die LGBTQIA+ Liberation Bewegung in Gang setzte, war der queere Lebensstil weitgehend unsichtbar, absolut verpönt und vielerorts sogar per Gesetz verboten. Wie in dieser Zeit der Film- und Fernsehgeschichte trotz den vielen Verboten, Gesetzen und Zensur queere Geschichten erzählt wurden, erzähle ich euch in diesem Artikel.

Film & TV als Spiegel der Gesellschaft

Filme gibt es mittlerweile seit ungefähr 126 Jahren, das Fernsehen seit 86. Seither hat sich in der Technik unheimlich viel getan. Ich meine, wenn ein Zeitreisender aus dem Jahr 1920 heute eine Virtual Reality Brille aufgesetzt bekommen würde, würde er vermutlich zusammenklappen. Aber auch gesellschaftlich hat sich in dieser Zeit sehr sehr viel verändert.

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Gerade aus dieser Perspektive finde ich es super spannend, alte Filme zu schauen (mit alt meine ich ca. alles vor meinem Geburtsjahr 1995 :D). Denn so wie Menschen in Film und Fernsehen dargestellt werden, werden sie oft auch von der Gesellschaft in dieser Zeit gesehen.

Marginalisierte Communitys in der Film- & Fernsehgeschichte

Die LGBTQIA+-Community hatte in der Film- und Fernsehgeschichte ein ähnliches Problem, wie auch andere marginalisierte Communitys: Sie hatte kaum Mitspracherecht darüber, wie sie in Filmen oder Serien dargestellt wird, da sie hinter der Kamera zumeist noch weniger Raum bekam als davor. 

People of Asian descent oder BIPoC Filmfiguren, die queer sind, hatten zum Beispiel zu Zeiten, als Rassentrennung in den USA noch aufrecht war, nicht nur aufgrund ihrer marginalisierten Sexualität, sondern auch dem bestehenden institutionellen Rassismus äußerst geringe Chancen auf positive Repräsentation in Film und Fernsehen.

Die Filmemacher*innen dieser Zeit bedienten sich natürlich an allen möglichen Klischees und waren sich nicht bewusst, wie schädlich diese Darstellungen für die jeweiligen Communitys waren. 

Besonders problematisch war das genau aus dem Grund, dass es für das Publikum vor dem Internet außer Film und Fernsehen kaum Möglichkeiten gab, weit über den eigenen Häuserblock hinauszusehen und über verschiedenste Lebensrealitäten zu lernen. Bis zur Gay Liberation Movement im Jahr 1969 zum Beispiel hatten viele Menschen so gut wie kein Wissen über die LGBTQIA+ Community, außer das, was sie aus den Filmen und Serien lernten.

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Erst queerer Aktivismus, die Sexual Liberation in den späten 60er Jahren und akademische Auseinandersetzungen mit der Thematik brachten Veränderungen in diesem Bereich. Erst ab diesem Zeitpunkt begannen filminteressierte Menschen, bestimmte filmische Werke aus der Filmgeschichte durch eine queere Linse zu sehen und queere Geschichten, die auf subtilem Wege erzählt wurden, zu identifizieren. 

Denn das war lange die einzige Möglichkeit, queeren Menschen in einer heteronormativen Gesellschaft in Film und Fernsehen auch nur einen Funken Sichtbarkeit zu geben.

Motion Picture Production Code

Besonders während der Zeit des sogenannten Motion Picture Production Codes zwischen 1934 und 1967, galten in Hollywood super strenge Richtlinien für Filmemacher*innen. Jedes Drehbuch musste von einer eigenen Kommission abgesegnet werden. Absegnen ist da gar nicht so der falsche Begriff, denn der Sinn der Sache war nur streng nach den damaligen moralischen Vorstellungen Filminhalte zu produzieren. Und die waren damals streng katholisch. Es wurde bis ins Detail genau eine Anleitung erstellt, was, wie und wo in Filmen dargestellt werden durfte. 

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Um die Absurdität davon mal in Kontext zu setzen: Der Production Code besagte, dass selbst wenn zwei Menschen verheiratet sind, sie im Film nicht in einem Doppelbett gezeigt werden dürfen, sondern in zwei getrennten Betten oder zumindest immer mit einem Fuß am Boden. Alles andere wäre wohl viel zu nah an jeglicher sexuellen Aktivität. Ach, und natürlich wird hier von der Ehe zwischen Mann und Frau gesprochen, alles andere ist laut Production Code schließlich “Perversion”.

Und genau aus diesem Grund mussten queere Charaktere, wenn sie überhaupt einen Platz in Filmen fanden, leider immer ein tragisches Lebensende finden. Oder die Bösewichte sein.

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Queere Geschichten wurden aber schon immer erzählt, oft aber im Untergrund oder unter großer Gefahr zensiert zu werden. Um in solchen Zeiten trotzdem queere Figuren in Geschichten inkludieren zu können, verwendeten Regisseur*innen und Drehbuchautor*innen Queer Coding. 

Queer Coding 

Das bedeutet, dass Filmemacher*innen mit Metaphern und Stereotypen arbeiteten, die die Queerness einer Figur andeuten sollten, aber dies in der tatsächlichen Handlung und Darstellung nie explizit bestätigt wird.

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Leider führte der exzessive Einsatz von Stereotypen zu einer Auswahl an queeren Klischee-Charaktertypen, wie dem “manish woman”, einer weiblich gelesenen Figur mit schroffer, unemotionaler Persönlichkeit, baggy Kleidung und muskulösen Aussehen, die lesbisch codiert ist.

Oder dem sogenannten “Sissy”-Typus. Eine als männlich gelesene Figur, der sein Aussehen wichtig ist, die einen Hang zum Drama besitzt und als absolut kein geeigneter Gegner für einen Schwertkampf dargestellt wurde (im Gegensatz zu den anderen hypermännlich-codierten Figuren in Filmen). 

Genau diese Dynamik existiert zwischen LeFou und Gaston in der live-action Version im Disney-Klassiker “Die Schöne und das Biest”. Obwohl es nie so ganz explizit ausgesprochen wird, ist LeFou ziemlich eindeutig queer codiert.

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Diesen Stereotyp findet man in ähnlicher Form immer wieder in Film und Fernsehen, allerdings wird den Figuren heute um einiges mehr erlaubt. Meiner Ansicht nach ist es aber auch genau dieser Stereotyp, der massiv dazu beigetragen hat, dass viele Menschen glauben, dass es nur einen Typ schwulen Mann auf dieser Welt gibt. Was natürlich nicht stimmt.

Schwulen oder trans Figuren wurden in Geschichten allerdings auch häufig die Rolle eines sadistischen Killers gegeben, also des bösen Gegenstücks der ach-so heldenhaften Hauptfigur. 

Tut mir leid, dass ich euch jetzt vielleicht ein Stück weit eine Kindheitserinnerung zerstören muss, aber auch Scar aus König der Löwen fällt unter diesen Stereotyp. Mit Queer Coding im Kopf, kann Scar definitiv als queer gelesen werden… und er ist der Böse der Geschichte.

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Queere Charaktere als Shortcut zu Homophobie

Andeutungen von Homosexualität dienten also lange dazu, eine Figur schnell als eine*n gefährliche*n Verbrecher*in zu identifizieren, oder als Witzfigur für ein paar schnelle Lacher. Diese Praxis unterstützte die gesellschaftliche Annahme, dass alle, die von der heterosexuellen Gendernorm abweichen, böse oder lächerlich sind. Damit wird Homophobie gefördert.

Davon mal abgesehen ist König der Löwen ein Kinderfilm und nicht der einzige, der sich Stereotypen bedient. Kinder lernen also aus Filmen wie König der Löwen sehr früh, gewisses Verhalten mit dem “Bösen” zu assoziieren. Und das ist schon ziemlich fatal.

Auch nach der Gay Rights Bewegung endeten die Verwendungen solcher Stereotypen allerdings nicht, oftmals tauchten sie sogar vermehrt in Film und Fernsehen auf, da die Filmemacher*innen merkten, wie lukrativ queeres Publikum sein kann. Der Unterschied von damals zu heute liegt eigentlich nur darin, das LGBTQIA+-Charakteren heute ihr Coming-out erlaubt ist. Das absolute Minimum also! Im Mainstream ist es ihnen also erlaubt zu existieren,… solange sie nicht wild rumschmusen oder gar (OMG!) Sex haben. Die heterosexuellen Pärchen dürfen das natürlich. Aber ja. Daran arbeiten wir noch.

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Queer characters for queer people

Einige queer coded Charaktere wurden aber auch speziell für ein queeres Publikum inkludiert, um Repräsentation in Filmen oder Serien zu schaffen, bei denen aus den höheren Etagen von Filmfirmen ein Strich durch die Rechnung für explizite LGBTQIA+-Charaktere gemacht wurde. Derartige Figuren sind vor allem für marginalisierte Communitys enorm wichtig, denn sie sind oft der einzige Weg, wie sich jemand mit Figuren einer Geschichte identifizieren kann, in der er sonst mehr oder weniger ignoriert wird.

Ein Beispiel dafür wären die Figuren Marceline the Vampire Queen und Princess Bubblegum aus der Animationsserie “Adventure Time”, die von 2010 bis 2018 ausgestrahlt wurde. Über viele Staffeln hinweg wurde zwischen den beiden weiblich gelesenen Charakteren romantische Gefühle angedeutet, bis zum Serienfinale aber nie explizit ausgesprochen oder thematisiert. Die positive und facettenreiche Darstellung der beiden ist zu einem großen Teil Drehbuchautor*in und Storyboard-Artist Rebecca Sugar, die an Adventure Time gearbeitet hat, zu verdanken. Da sieht man mal wieder, wie wichtig queer Creators hinter den Kulissen sind.

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Auch heute wird Queer Coding noch angewandt, jedoch mittlerweile leider häufig als Mittel zur Ausnutzung der Quoten und des Geldes, die die queer Community als Fangruppe hinzubringt, verwendet. Es werden LGBTQIA+-Beziehungen oder Flirtereien angedeutet, um sich mit der queeren Zuschauerschaft zu sympathisieren, aber nie explizit in der Handlung gezeigt, aus Angst, man könnte den homophoben Part des Publikums beleidigen. Dafür gibt es sogar einen eigenen Begriff: Queerbaiting

Filme und Serien sind wichtiger, als wir glauben

Eines ist klar: Die LGBTQIA+-Community und ihre Allys sind hier und werden nicht aufgeben, die Darstellung ihrer Community on Screen zu diskutieren. Die Nachfrage für realistische queere Figuren, Beziehungen und Geschichten in Film und Fernsehen steigt nach wie vor und wird auch nicht sinken. 

Filme und Serien und vor allem die Figuren, die darin vorkommen, sind viel wichtiger für das menschliche Weltbild, als man glauben würde. Unsere Welt und ihre Menschen sind vielfältig in allen Facetten, und das spiegelt sich auch immer mehr in unseren Geschichten wider. 

Über die Autorin, Maria

Tätig in kreativen Bereichen aller Art, meistens jedoch hinter ihrer Kamera oder vor ihrem Laptop beim Ausdenken oder Finden neuer Geschichten, die zu erzählen sind. Sie ist fasziniert von Menschen und warum sie so sind, wie sie sind und lässt so gut wie keine Filmfigur unanalysiert.