Wie ich mein Schwarzsein in Freundschaften lebe, ehre und feier!

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Die vergangenen zwei Jahre haben mich in vielerlei Hinsicht geprägt und rückblickend betrachtet auch auf verschiedenen Ebenen verändert. Durch mein Studium der Afrikawissenschaften, meinen soziokulturellen Background als Kind einer weißen Mutter und eines Schwarzen Vaters, das in Wien aufwuchs, aber vor allem aufgrund der damit einhergehenden Erfahrungen mit strukturellem sowie alltäglichem Rassismus, habe ich bald festgestellt, dass sich meine Sicht auf die Dinge innerhalb weniger Jahre drastisch verändert hatte. Ich wurde politisiert. Dass sich diese Veränderung auch auf meine Freundschaften auswirken würde, war mir zu Beginn noch nicht ganz bewusst.

Dieser Prozess ging bei mir, nicht zuletzt wegen der plötzlich auftretenden medialen Präsenz von Themen wie zum Beispiel Anti-Schwarzen-Rassismus, Polizeigewalt, sozialer Ungerechtigkeit und den damit entstehenden Diskursen, relativ schnell vonstatten.

Ich ertappte mich regelmäßig dabei, wie ich mich gezielt von Personen entfernte, die früher wichtige Rollen in meinem Leben spielten. Was anfänglich noch nicht klar ersichtlich war, wurde im Laufe der Zeit immer eindeutiger: Politische Positionierungen und soziokulturelle Ungleichheiten zwischen mir und mir bekannten Personen haben zu dieser Distanzierung geführt.

Bis heute stelle ich mir also die Frage:

© Stefan Pum

Was bedeutet Freundschaft für mich?

Die Tatsache, dass das Antworten auf diese große Frage einiges an Zeit für Selbstreflektion in Anspruch genommen hat, hat mir gezeigt, wie wichtig es für mich in meiner aktuellen Lebenslage als Aktivistin ist, mir diese Frage zu stellen. Ehrlich gesagt kreisen meine Gedanken in regelmäßigen Abständen rund um die Themen Freundschaft(en), Politik und in welcher Relation diese beiden zueinander in meinem Leben existieren (sollen).

Der erste Versuch, Antworten auf diese Frage zu finden, führte dazu, dass ich über die wertvollsten Momente mit meinen Freund*innen nachdachte. Dabei habe ich festgestellt, dass tiefe Gespräche einerseits und eine geballte Ladung Humor andererseits, definitiv einen hohen Stellenwert für mich haben.

Freundschaft ist politisch

Trotzdem habe ich aber auch sofort den Gedanken wahrgenommen, der im Grunde genommen alle anderen Gedanken zu diesem Thema überschattete: Menschen, denen ich einen besonderen Platz in meinem Leben einräume, sollten nicht nur generell die Wichtigkeit für politische Diskurse erkennen, sie sollten sozio-politisch auch Positionierungen vertreten, die meinen Ansichten zumindest ähneln.

© Stefan Pum

Eine ziemlich gewagte, ziemlich große Bedingung, wie viele meinen. Für mich eine absolut wichtige Voraussetzung für eine zwischenmenschliche Verbindung, die sich potentiell zu einem freundschaftlichen Verhältnis entwickeln soll. Aber warum ist mir das so wichtig?

Wie (er)lebe ich Freundschaft als politisierte, marginalisierte Person?

Nun ja, kurz und knapp gesagt: Ich kann und möchte nicht mit Menschen befreundet sein, die auf die gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Strukturen, die mein Leben unfreiwillig prägen, keine Rücksicht nehmen und mir die Erfahrungen mit diesen aufgrund ignoranter, privilegierter sozialer Haltungen womöglich sogar absprechen.

Es ist also sozusagen ein Mechanismus, mich einerseits selbst vor Auseinandersetzungen mit bestimmten Menschen zu schützen und andererseits eine Art und Weise, mir und meinen Wertvorstellungen den Raum zu geben, der uns gebührt.

Zugegebenermaßen bringt so eine bedingungslose Vorstellung von Freundschaft gewisse Herausforderungen mit sich. Ich habe letztendlich eingesehen, dass ich mit vielen Menschen, die für sehr lange Zeit fixe Bestandteile meines Lebens waren, nicht mehr befreundet sein möchte und habe mich von ehemaligen Freund*innen gedanklich verabschiedet und physisch distanziert.

Was ich durch mein upgedatetes Verständnis von freundschaftlicher Verbundenheit aber gewonnen habe, übertrifft meine Vorstellungen von Zwischenmenschlichkeit. Trotz einer weltweiten Pandemie, die unser Sozialleben von jetzt auf gleich bis auf weiteres lahmgelegt hat, entstanden für mich genau im Jahr 2020 neben den langjährigen, tiefgehenden Verbindungen zu meinen besten Freundinnen, die bisher schönsten Bekanntschaften, die sich mittlerweile tatsächlich zu Freundschaften entwickelt haben.

© Stefan Pum

Dass diese Verbindungen zu 80 Prozent aufgrund gemeinsamer politischer und aktivistischer Tätigkeiten entstanden sind, werte ich als Erfolg für mein Verständnis von Freundschaft.

Die Schwarze Diaspora als mein safe space

In den vergangenen Monaten habe ich außerdem festgestellt, dass ein Großteil meiner neu gewonnenen Freund*innen etwas gemeinsam hat: Genau wie ich, sind sie gesellschaftlich ein- oder mehrfach marginalisiert.

Diese Erkenntnis hat meinen Horizont diesbezüglich so erweitert, dass ich mit großem Frust realisierte, wie sehr mir, als Schwarze Frau der afrikanischen Diaspora, der Austausch mit Schwarzen Menschen in Wien in meiner Kindheit und Jugendzeit fehlte.

Einer der wenigen positiven Aspekte der letztjährigen Black Lives Matter Demonstrationen und Proteste war die Möglichkeit, in diesen mir fehlenden Austausch mit Schwarzen Gleichaltrigen zu treten. Schneller als erwartet, verflog mein Frust über die Tatsache, die ersten 23 Jahre meines Lebens womöglich etwas verpasst zu haben und bald erkannte ich die Chancen, die sich mir boten, neue, interessante, politische und weniger politische Bekanntschaften mit Menschen zu machen, deren gesellschaftlicher Background meinem sehr ähnlich ist.

Heute fühle ich mich das erste Mal in meinem Leben nicht mehr alleine mit vielen strukturellen, institutionellen und alltäglichen Ungerechtigkeiten. Aber viel, viel wichtiger: das erste Mal in meinem Leben habe ich die Möglichkeit mein Schwarzsein und meine Wurzeln mit all ihren wundervollen Facetten zu leben, zu ehren und zu feiern.

© Stefan Pum

Die Frage nach der Bedeutung von Freundschaft hat mich einige schlaflose Nächte und tausende Denkprozesse gekostet. Als Belohnung dafür macht sich heute ein warmes Gefühl in mir breit, wenn ich daran denke, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass so unfassbar liebevolle, sensible, starke und intelligente Menschen mein Leben bereichern.

Über Marielle

Als Studentin der Afrikawissenschaften fokussiert sich Marielle in ihrer politischen Arbeit vor allem auf Rassismus(geschichte), Intersektionalität und Klasse.
Ihre Erfahrungen und Gedanken zu gesamtgesellschaftlichen Themen teilt sie auf ihrem Instagram-Account @blackradicalwoman.