Sprachgewitter: Wie ich die Selbstbestimmung in meiner Sexualität fand

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Wie beginnt man einen Text über ein Thema, das die Medien ebenso wie das Private auf sämtlichen Ebenen beschäftigt? Mächtig tabuisiert auf der einen Seite und auf der anderen ein tägliches Werkzeug des Marketings. Sex sells. Doch was bedeutet es, als Frau in einer Gesellschaft heranzuwachsen und sozialisiert zu werden, die Sex manchmal mehr und manchmal weniger subtil vermarktet, doch gleichzeitig suggeriert, dass es insbesondere für die weibliche Identität etwas Verpöntes ist?

Meine ersten Vergleichswerte und Erfahrungen habe ich, wie so viele, in der problematischen Darstellung der Pornografie gesucht und gefunden. Damals völlig unkritisch und von Neugierde befeuert, machte ich mich auf die Suche nach der Antwort, die in allen anderen Bereichen zwischen den Zeilen verschleiert wurde. Schnell lernte ich, dass ich erstens nicht so aussehe wie das offensichtliche Objekt der Begierde und zweitens, dass Sexualität vorrangig dazu dient, den männlichen Konterpart zu befriedigen. 

© Jaqueline Scheiber

Heute weiß ich, dass man Körperformen und – normen nicht diskutieren kann, ohne Sexualität miteinzubeziehen. Sex ist in vielerlei Hinsicht politisch, denn er ist vor allem patriachal, heteronorm und frauenfeindlich geprägt. Ein hartes Urteil, möge man meinen. Die Wahrheit ist, dass die kritische Betrachtung unseres Heranwachsens unter dieser Darstellung der erste und nötige Schritt ist, um die Lanze für die eigene Sexualität zu brechen.

Ein Nein ist immer ein Nein

Ich musste Opfer von sexueller Gewalt werden, um zu realisieren, dass meine Grenzen unter keinen Umständen überschritten werden dürfen, dass die intime, körperliche Annäherung keinen Spielraum für Vermutung zulässt, sondern die einvernehmliche Übereinkunft die einzige Voraussetzung für Sex ist. Alles andere ist schlicht und ergreifend Gewalt. 

© Jaqueline Scheiber

2017 schreibe ich am Morgen nach einem Clubbesuch mit Freund*innen in unsere WhatsApp Gruppe „Hatte einen schlechten One Night Stand, war irgendwie nicht ganz freiwillig, aber bin mir nicht sicher.“ Ich überspielte meine Unsicherheit mit Humor und nur eine Freundin geht näher darauf ein. Tage später finde ich mich bei einer polizeilichen Einvernahme wieder und werde anschließend zu einer gynäkologischen Untersuchung in ein Krankenhaus gebracht. “Nicht ganz freiwillig” ist meine erste Reaktion aus Selbstschutz, denn ich kann und will in dem Moment nicht glauben, dass ich, die Sexualität selbstbestimmt und selbstbewusst lebt, zum Opfer sexueller Gewalt wurde. 

Dass meine Freundin und später auch meine Therapeutin alarmiert reagieren, als ich ihnen von der Nacht erzählte, war wesentlich, um rasch tätig zu werden. Die Tat zu benennen und die einhergehenden rechtlichen Schritte zu setzen, war selbstermächtigend für mich. In den darauffolgenden Jahren lerne ich in meiner Therapie, dieses Ohnmachtsgefühl zu überwinden. Heute weiß ich, dass das Wort “Opfer” nichts mit Schwäche zu tun hat und sexuelle Gewalt nicht zwangsläufig auf dem Weg nach Hause aus dem dunklen Busch hüpft. Sie ist in unserem Umgang kultiviert und in den verschiedensten Nuancen omnipräsent.

Onlinedating als Möglichkeit, mich auszuprobieren

Der Ursprung meiner sexuellen Selbstbestimmung liegt etwas früher zurück. 2014 habe ich mich erstmals auf einer Online Dating App registriert. Zu dieser Zeit hatte Online Dating noch einen zynischen Ruf, viele probierten es aus, doch man sprach ausschließlich hinter vorgehaltener Hand darüber. Für mich, die früh verinnerlichte, dass ich nicht den allgemeinen Richtlinien der Attraktivitätsanforderungen entsprach, war dies eine Möglichkeit mich auszuprobieren. 

© Jaqueline Scheiber

Vor der tatsächlichen Interaktion gab es einen Raum für Trockenübungen, Bildschirme zwischen der Angst etwas falsch zu machen und mir. Ich sammelte zunehmend Erfahrungen auf dem Datingmarkt. Ich geriet in absurde Situationen und verbrachte endlose Nächte an Eckbänken. Ich schlich mich morgens aus der Wohnung oder nahm am WG-Küchentisch Platz. Es war ein Crashkurs der zwischenmenschlichen Interaktion, ein Herantasten an Erwartungen und Enttäuschungen. Die Bedeutung von Blickkontakt und die Etablierung von Einvernehmen – „Consent“, wie man es heute nennt. 

Viele Männer, die ich traf, waren selbst unsicher und jene, die es nicht zu sein schienen, wirkten auf mich durch ihre Arroganz abstoßend. Nach einiger Zeit war ich nicht mehr überfordert mit dem Gedanken der Anziehung. Ich entwickelte die Fähigkeit abzulehnen, wenn sie fehlte und den Mut sie auszuüben, wenn sie ausgesprochen vorhanden war.

Selbstbestimmung war nicht länger ein undurchsichtiger Begriff, den ich in feministischen Artikeln las, er war meine Stimme, die Zustimmung oder Abbruch formulierte. Selbstbestimmung ist Kommunikation. 

© Jaqueline Scheiber

Rückblickend betrachtet bin ich stellenweise erschüttert über die Leichtigkeit und die Naivität, mit der ich meine Sexualität entdeckte und erlernte. Die Situationen, in die sich junge Frauen begeben, haben oftmals Potential gefährlich zu sein. Viele von uns wurden sozialisiert mit dem Anspruch zurückhaltend und höflich zu sein, Angebote nicht abzulehnen oder das Gegenüber nicht zu verärgern. Wir wachsen in einer Gesellschaft heran, die uns in erster Linie die Aufgabe vermittelt, zu gefallen. Sich davon zu lösen, bedarf Wut und Kraft und auch ein Stück Mut. Doch vor allem bedarf es Solidarität untereinander.

@ Bianca Marie Braunshofer

Die Grenze ist eindeutig

Was ich damit sagen will: die Grenze scheint auf den ersten Blick dünn zu sein, zwischen Einvernehmen und Gewalt. Die Nuancen von Lust, Verlangen und „jemandem gefallen wollen“ bleiben vermengt unter dem Schweigen über weibliche Sexualität. In Wahrheit, und das lerne ich erst mehr als zehn Jahre nach meinem ersten Geschlechtsverkehr: Alles, was kein Hundertprozentiges „Ja“ für sexuelle Interaktion ist, bedeutet ein „Nein“ und ist zu jedem Zeitpunkt zu respektieren. 

 

Guter Sex basiert für mich auf Vertrauen und guter Kommunikation. Auf dem Austausch während man in Begriff ist, intim zu werden. Auf der Tatsache Empathie und Aufmerksamkeit dem Gegenüber entgegen zu bringen und stets sicher zu stellen, dass beidseitige Zustimmung zu jeglichen Handlungen herrscht. Sei es ein flüchtiges One Night Stand, Sex mit Freund*innen, Affären oder auch Sex in einer monogamen Beziehung. Der Höhepunkt des lustvollen Miteinanders ist nicht der Orgasmus, es ist die Leidenschaft und die Zuwendung. Und das daraus resultierende Gefühl, sich sicher und angenommen in der eigenen Identität und dem eigenen Körper zu fühlen. 

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.