Sprachgewitter: Mein Weg zu mehr Selbstakzeptanz in meinem Körper

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Ich habe einen Körper. Nicht mehr und nicht weniger. So viel steht fest. Dass diese Erkenntnis mich Jahre an Geißelung, Herabwürdigung und Selbstzweifel gekostet hat, ist im ersten Moment vielleicht schwer nachvollziehbar. Ich bin in der Volksschule, als andere Kinder beginnen, mein Aussehen zu kommentieren. Essen entwickelt sich zu einer Bewältigungsstrategie, die ihre Spuren hinterlässt. Ich gelte im frühen Jugendalter als übergewichtig. Von da an gibt es kaum eine Diät, Sport und Elektrogeräte, die ich nicht ausprobiert habe, um der scheinbar gesunden Körpernorm zu entsprechen. 

Es sind gerade Frauen, die schon in frühen Stadien ihres Lebens mit der Bewertung ihres Körpers zu kämpfen haben. Schließlich hat die Gesellschaft für ein junges Mädchen meistens vor allem eines vorgesehen: einmal eine schöne Frau zu werden. Und das ist in Anbetracht der Tatsache, dass nach heutigen Standards normschöne Menschen in fast allen Bereichen besser gestellt sind, gar nicht so verwerflich.

© Sophie Nawratil

Man bekommt eher einen Job, wird in seinem sozialen Umfeld eher geschätzt und hat zumeist einen leichteren Zugang in der Partnerwahl. Dies zeigt zumindest eine Studie.

Das vermeintliche, mitteleuropäische Schönheitsideal beschreibt jemanden als  dünn, wohlproportioniert und mit einem symmetrischen Gesicht. Mit reiner Haut und geraden, weißen Zähnen. Merkmale, die ich, bis auf eine gewisse Symmetrie in meinem Gesicht, allesamt nicht erworben habe. Damit werde ich auch im späteren jungen Erwachsenenleben gerne konfrontiert. 

© Jaqueline Scheiber

Dabei sind selbst Menschen, die dieser Norm entsprechen, nicht vor einem gespaltenen Selbstbild gefeit. Die Diätkultur boomt, Social Media suggeriert einem das perfekte Aussehen, es gibt zahlreiche Apps und Bearbeitungsprogramme, um kleine und große Makel zumindest digital weg zu retuschieren und sich selbst von der eigenen Realität zu dissoziieren. 

Das erste Mal seit ich mich mit meinem Äußeren beschäftige, komme ich mit einem positiven Körperbild in Berührung, als ich von der Bewegung Body Positivity erfahre. Sie entstand aus der Notwendigkeit heraus, Raum für jene Frauen zu schaffen, die in vorherrschenden Schönheitsidealen keinen Platz fanden. Gestartet wurde die Bewegung von dicken Frauen. Dabei wird das Body Image in ein positives Licht gerückt: sich selbst lieben lernen, anstatt  alles an sich zu kritisieren und verändern zu wollen. 

© Sophie Nawratil

Mein Körper hat mittlerweile Vieles ausgehalten. Ich habe große und kleine Gewichtsschwankungen durchlebt, musste mich mehreren operativen Eingriffen unterziehen und zeitweise war mir das Gehen nur auf Krücken oder im Rollstuhl möglich. Mein Körper ist übersät von Narben und Dehnungsstreifen. Heute kann ich dieses Bild schätzen, es ekelt mich nicht mehr. Es erinnert mich daran, dass mein Körper im Grunde seinen Job erledigt. Er trägt mich, macht es mir möglich zu tanzen, einen Tag im Bett zu verbringen oder Berge zu besteigen. Ich habe angefangen, meinen Körper auf seine Funktionalität zu reduzieren. Diese Ansicht nennt sich Body Neutrality.

Eine Strömung der Körperbewegungen, die sich zum Ziel gesetzt hat, Körper neutral zu bewerten. Sie grenzt sich davon ab, alles positiv zu empfinden. Jede*r hat gute und schlechte Tage in seiner/ihrer Haut, nicht jede Stelle des eigenen Körpers muss als „schön“ gefeiert werden. Damit kann ich mich identifizieren, kann meine Perspektive auf meine Außenhülle so wahrnehmen, wie sie ist: keinesfalls makellos, aber intakt. 

© Jaqueline Scheiber

Heute gelte ich laut BMI immer noch als leicht übergewichtig. Ich mache unregelmäßig Sport, gehe gerne tanzen, ich laufe stundenlang mit meinem Hund durch die Wälder und schlinge meine Arme um die Menschen, die mir wichtig sind. Je nach Tagesverfassung fühle ich mich schön, müde oder unwohl. Und genau das ist die Quintessenz: Schönheit ist ein Gefühl, es ist eine Emotion, die man in sich und in anderen auslösen kann und hat nichts damit zu tun, wie unser Körper aufgebaut ist. 

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Sophie Nawratil

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.