Sprachgewitter: Wieso die Wiener Gay Community auch für mich ein Safe Space meiner Jugend war

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Im Juni ist Pride Month und ich begrüße es, dass der Fokus der Berichterstattung und viele Kampagnen bzw. kulturelle Veranstaltungen die Realität von LGBTQIA+-Menschen hervorheben. Als die Themenfrage meiner monatlichen Kolumne kam, habe ich viel darüber nachgedacht, welchen Beitrag ich für diesen Themenschwerpunkt bieten kann, wo ich doch selbst in einer heterosexuellen Beziehung lebe und mich nicht als queere Person identifiziere.

Deswegen möchte ich eine Geschichte teilen, die erst in der Retrospektive an Bedeutung für mich und den Umgang mit meinem Umfeld geprägt hat. Sie ist ein Beispiel dafür, warum mein Aufwachsen, umgeben von queeren Menschen, meine Toleranz und meine Akzeptanz für mich und für andere maßgeblich geprägt hat und warum wir heterosexuelle Menschen viel von der LGBTQIA+-Szene lernen können.

Über viele Jahre hatte ich einen besten Freund. Wir lernten uns auf dem Sommerlager kennen, als wir noch Volkschulkinder waren. Jedes Jahr verbrachten wir diese eine Woche im Juli mit Wanderungen, Lagerfeuer und Gemeinschaftsspielen in der österreichischen Einöde. Das Ferienlager wurde von der Jungschar organisiert, wodurch es neben dem bunten Rahmenprogramm auch Morgengebete und streng getrennte Buben- und Mädchenzimmer gab.

Schon früh war meinem damaligen besten Freund klar, dass er lieber mit den Mädchen spielte und nur wenig mit Jungs auf einer Kumpel-Ebene anfangen konnte. Deswegen wurde bei ihm eine Ausnahme gemacht und er konnte von nun bei uns im Mädchenzimmer schlafen. 

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Mein bester Freund damals wusste früh, dass er nicht heterosexuell ist. Das war für ihn, der aus einer sehr religiös geprägten Familie kam, sehr schwer. Wir wurden älter und was ihm schon lange klar war, bekam nach und nach einen Namen. Um seine Sexualität, seine Neugier und auch seine Erfahrungen mit Männern auszuloten, verbrachte er viel Zeit am Wochenende in meinem Elternhaus. Dort konnte er offen homosexuell sein und über seinen neuesten Schwarm oder den ersten Kuss sprechen. 

Viele Jahre galt ich als Alibi für ihn. Denn während seine Eltern dachten, dass wir einen Filmabend in meinem Kinderzimmer verbrachten, fuhr meine Mutter uns in die ersten Wiener Clubs. Dort lernte er den ersten Mann kennen, mit dem er eine romantische Beziehung einging. Das war der Beginn seiner und meiner Jahre in der „Homoszene“ in Wien. 

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Wir verbrachten jedes Wochenende in Wohnungen umgeben von Kostümen, Travestie Künstlern und gelegentlich auch an der Theke von Szenebars. Erst in der Rückschau wird mir bewusst, dass ich in den prägendsten Jahren meines Teenageralters so gut wie gar nicht von heterosexuellen Männern umgeben war. Und genau diese Tatsache hat mein Selbstbild und meine Toleranz maßgeblich geprägt.

Denn während ich heute oft von Frauen höre, wie sie in ihrer Jugend von männlichen Freunden bedrängt, bewertet oder sexualisiert wurden, entwickelte ich einen positiven Begriff von Männlichkeit. Männlichkeit per se war für mich daher von Anfang an geprägt von einem offenen Umgang mit Gefühlen und der Abwesenheit von Gewalt oder aufgestauter Wut. Ich kann mich gut an die Abende am Küchenboden mit den Jungs erinnern, in denen wir gemeinsam zu Songs von The Knife geweint haben. 

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Damit meine ich nicht per se, dass insbesondere homosexuell orientierte Männer bestimmte Attribute oder ein stereotyper Habitus zugeschrieben sei, sondern dass es in einem queeren Umfeld häufig einfacher ist, mit toxisch-männlichen Rollenbildern zu brechen. Die Umgebung, in die ich durch die bittere Not meines besten Freundes kam, bot auch mir einen Safe Space, von dem ich bis heute zehre. 

Warum ich diese Facette meines Aufwachsens als passend empfand? Sie zeigt auf, dass gesellschaftlich konstruierte Geschlechterrollen schon früh eine Belastung darstellen können und massive Auswirkungen auf unser späteres Erwachsenenleben haben. Sie zeigt auf, dass Räume der Wahrnehmung und der Akzeptanz, Räume des Sich-nicht-verstecken-Müssen von unfassbarem Wert sind – für die eigene Identitätsentwicklung und Selbstverwirklichung.

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Und letztlich zeigt sie ebenso, dass der Weg noch weit ist, solange die Jugend von Menschen, die der LGBTQIA+-Community angehören, immer noch vom Verstecken, Verheimlichen und Verbergen geprägt ist. Es zeigt, dass wir Monate wie den Juni brauchen, um auf die Rechte und Ansprüche von Menschen aufmerksam zu machen, die bis zum heutigen Tag Verdrängung, Diskriminierung und Unterdrückung erfahren, obwohl sie nur ein simples Bedürfnis haben: Uneingeschränkt leben und lieben, wie sie wollen. 

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.