Strenge Eltern in den 20ern? Erfahrungen, Umgangsstrategien und Tipps

  • Lesedauer: 4 Minuten

Wenn du in deinen 20ern noch bei deinen Eltern wohnst, könntest du öfter mal das Gefühl bekommen, dass damit etwas nicht stimmt. Vorteile im “Hotel Mama” gibt es viele: keine Miete, stets frisches und warmes Essen und keine allzu große Alltags-Verantwortung. Doch nicht alle wollen zuhause bleiben – vor allem, wenn man strenge Eltern hat. Strikte Regeln und veraltete Erwartungshaltungen können einem die Jugend und gar das Erwachsenenleben ruinieren, das wissen Charlie, Lana und Elif.

Alkohol und Partys sind Tabu. Knappe Bekleidung genauso.

Ob nun “streng”, “konservativ” oder “veraltete Denkweise” – eins ist ganz klar: Strenge Eltern machen sich auf unterschiedlichste Art und Weise bemerkbar. Während die einen ganz klare Ausgehzeiten und Klamottenregeln für ihre Kinder aufstellen, ist für die anderen das Verbot von Clubs, Partys und Alkohol wichtiger. Bereits im Kindesalter erkennt man schnell, ob die Schulkolleg*innen und Freund*innen mehr “Freiheiten” haben. Die Einladung zur Übernachtungsparty von Freund*innen ablehnen, ohne dabei erklären zu können, warum man nicht kommen kann – oder eher nicht kommen darf, wird zur Regel.

Man empfindet Scham für das strenge Verhalten seiner Eltern. Und so entsteht die Angst, dass man ausgelacht wird und eventuell die Frage bekommt: “Du bist mittlerweile 20. Warum hörst du noch auf deine Eltern?” Dabei ist die Loslösung von strengen Eltern komplizierter, als es für Außenstehende erscheint. Ich habe mit drei jungen Frauen gesprochen, die mir ihre Geschichte erzählt haben.

“Wenn du dich tätowieren lässt, reiß ich dir die Haut ab.” – Charlie, 27 Jahre

Charlie ist 27 Jahre alt und wohnt gemeinsam mit ihren zwei Geschwistern noch bei ihren Eltern. Sie ist Syrisch-Orthodoxe-Christin und studiert Amerikanistik im Master. “Bereits als Teenie durften wir nie ohne unsere Eltern rausgehen. Wir wurden jedes Mal in die Schule gebracht. Immer Händchen haltend. Und auch wieder abgeholt. Das ging bis zu meinem 16. Lebensjahr”, erzählt Charlie in unserem Gespräch. 

© Cansu Tandogan

Doch nicht alle Kinder in der Familie müssen die strengen Regeln befolgen: “Mein Bruder darf viel mehr als meine Schwester und ich. Er geht feiern, trinkt Alkohol und darf arbeiten. Meine Schwester und ich wurden nie zur Selbstständigkeit erzogen. Wir sind auf das Geld unserer Eltern angewiesen. Deswegen ist ein Umzug auch nicht so einfach.”

Die Studentin erzählt, dass “Ehre” und das “Ansehen der Familie” eine zentrale Rolle spielen. Deswegen sind Tattoos und Piercings tabu, denn was würde die Kirchengemeinde denken? Tätowiert hat sie sich trotzdem. Lippen aufgespritzt genauso. Die 27-Jährige ist sich ihrer körperlichen Selbstbestimmung bewusst. Obwohl ihr Vater sie danach beschimpft und einen ganzen Tag nicht mehr angesehen hat. 

Ihre Angst vor ihren Eltern ist aber nicht mehr so schlimm: “Früher hatte ich Angst, mit einem Typen in der Stadt gesehen zu werden. Ich hab’ den Laden meines Vaters und Onkels beim Spazierengehen vermieden. Aber wenn sie wollen, dass ich heirate, dann müssen sie damit leben. Mir ist es mittlerweile egal.“

“Strenge Eltern erziehen keine guten Kinder, sondern gute Lügner.” – Lana, 21 Jahre

Die 21-jährige Kurdin und Studentin Lana erzählt, dass die strengen Regeln ihrer Eltern Launen-abhängig sind: “Ich habe mich tagelang vorbereitet, wenn ich nach Erlaubnis für etwas fragen wollte. Ich habe geputzt, gekocht und wollte positiv auffallen – denn wenn sie gut gelaunt waren, durfte ich auch raus.” Lanas Eltern verteufeln Clubs und Bars. Solche Orte seien reine “Männersache”. Frauen haben da nichts zu suchen.

© Cansu Tandogan

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Das Thema Jungs und Dating hat Lana trotz konservativer Familienwerte nicht vermeiden wollen. Gerade weil es verboten war, war es umso interessanter für sie: “Wenn sie es dir nicht erlauben, machst du es halt heimlich. Ich habe meine Dates immer außerhalb der Stadt getroffen und versucht öffentlichen Orte zu vermeiden.” Die strengen Regeln ihrer Eltern hatten für Lana jedenfalls eine Auswirkung: Sie ist eine ziemlich gute, strategische Lügnerin geworden. Clubs, Ausgehen und Jungs waren und sind nach wie vor ein Teil ihres Lebens.

“Ich will meine Freiheit, aber auch meine Familie”, erzählt sie. Ein Zwiespalt, den viele Personen mit strengen Eltern nachvollziehen können. Aus Scham vor ihren Freund*innen muss sie mit Lügen aufkommen. Dann sagt sie, dass sie nach Hause muss, weil sie lernen oder auf ihre Schwester aufpassen muss. Trotz ihrer rebellischen und mutigen Art will Lana jegliche Konsequenzen und jeglichen Streit vermeiden. Genau deswegen funktioniert Lügen auch so gut, sowohl bei Freund*innen als auch bei ihren Eltern.

“Ich habe mich früher viel mit meinen weißen Freund*innen verglichen und mich gefragt, warum sie freier sind als ich.” – Elif, 23 Jahre

Letzte Woche ist Elif endgültig aus ihrem Elternhaus ausgezogen. Sie ist 23 Jahre alt und studiert Soziologie und Gender Studies. “Wenn man einmal nicht an einen Anruf rangeht, wird man mit Nachrichten und weiteren Anrufen bombardiert. Ich habe das Gefühl, dass ich immer erreichbar sein muss”, so Elif. Rausgehen mit Freund*innen wird also zu einer reinen Stresssituation und komplett ungenießbar.

© Cansu Tandogan

“Manchen Freund*innen kann ich dann offen und ehrlich sagen, dass mich meine Eltern stressen. Das sind oft Leute mit ähnlichem Migrationshintergrund. Ich denke, dass es die anderen nicht verstehen würden.” Von den strengen Regeln, die ihre Eltern ihr 23 Jahre lang aufgesetzt haben, versucht sich Elif nun durch ihren Umzug zu trennen. Das Studium war ihr “Ticket in die Freiheit” und ihr stärkstes Argument fürs Ausziehen.

“Ich will meinen eigenen Weg gehen und mein Leben endlich so gestalten, wie ich es möchte. Ich bin schlussendlich nur einmal auf dieser Welt”, unterstreicht Elif.

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Kleine Rebellion – große Veränderung?

Natürlich müssen Eltern gewisse Regeln und Grenzen für ihre Kinder setzen. Das ist wichtig für die Entwicklung des Kindes. Doch was ist mit absurden Regeln, die das Kind ab einem bestimmten Alter schlussendlich sozial ausgrenzen und gar die Entwicklung hindern? 

 

Charlie, Lana und Elif sind sich einig: Kleine Schritte und das Austesten von Grenzen können Veränderung mit sich bringen. Erst könne man eine halbe Stunde länger (als mit den Eltern abgemacht) draußen bleiben, danach eine Stunde, danach zwei und somit große Veränderung schaffen. “Deine Eltern gehen so streng mit dir um, so weit du es zulässt. Du musst aus der Komfortzone raus und bisschen rebellieren”, ist Lana überzeugt. 

Charlie meint, dass man seine Eltern manchmal auch selbst erziehen müsse: “Ehrliche Aussprache mit den Eltern ist wichtig. Natürlich kann man nicht mit allen Eltern über alle Themen reden, aber so kann man ihnen Kommunikation und Vertrauen beibringen und ihre Limits ausweiten.” 

© Cansu Tandogan

Eins ist klar: Jede*r braucht Freund*innen und ein Umfeld, dass einen versteht und einen für die veralteten Werte der Eltern nicht ausgrenzt. Auch bei Freund*innen könnte eine ehrliche Aussprache Wunder bewirken. Vertrau’ dich anfangs einer Person an, bei der du dir sicher bist, dass sie genug Empathie für dich und deine Situation empfinden wird. Das nimmt dir außerdem die Last “des Lügens”: So musst du nicht mehr mit Ausreden aufkommen, sondern kannst in bestimmten Situationen die Wahrheit sagen. 

 

Über Berfin

Berfin Marx studiert Politikwissenschaften. Auf ihrem IG-Account @berfin.marx schafft sie einen Safe Space, bei dem sie über Rassismus, intersektionalen Feminismus und Klassenbewusstsein aufklärt und andere Menschen dazu inspiriert, sich zu engagieren oder einfach nur ihren Wissenshorizont zu erweitern.