DOs und DONT’s im Umgang mit Menschen mit chronischen Erkrankungen und/oder Behinderungen

  • Lesedauer: 4 Minuten

Mein Name ist Caterina Lucrezia und ich bekam 2021 die Diagnose Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS). EDS kommt selten alleine und somit gesellen sich seitdem immer mehr Diagnosen dazu. Da die Erkrankungen bei mir mit starken Schmerzen einhergehen und unter bestimmten Umständen lebensbedrohlich sein können, sind meine Mobilität und meine Teilhabe am Leben immer wieder stark eingeschränkt. Meine Behinderung ist dynamisch, deshalb nutze ich viele Orthesen, einen Gehstock oder einen Rollstuhl, je nachdem, was mein Körper gerade als Unterstützung braucht. 

Ich habe mich in der Community umgehört, was die wichtigsten Dos und Don’ts sind, um mit Vorurteilen im Umgang mit chronisch Kranken und Behinderten aufzuräumen. Es geht hier nicht darum, dass sich jetzt jede*r schuldig fühlt, sondern darum, die Chance zu ergreifen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Es gibt nicht den EINEN Look oder die EINE Umgangsweise, aber es gibt Richtlinien, an die du dich halten kannst, um ein*e Verbündete*r zu werden.

DON’T: Stell dich über uns, ohne nachzufragen. 

Es steht dir nicht zu, über das, wie wir uns selbst beschreiben und definieren, zu urteilen oder Änderungen anzubringen! “Meine Selbstbezeichnung zu korrigieren, geht gar nicht”, so Spooniemoon

Es gibt Menschen, die die “Person-first language” bevorzugen. Sie stellt die Person in den Vordergrund. Hier wird Behinderung als etwas empfunden, was du hast, aber nicht wer du bist. Also sagst du: Mensch mit einer chronischen Erkrankung und/oder Behinderung. 

Und dann gibt es noch die “Identity-first language”. Hier geht es darum, die Behinderung als das anzuerkennen, was eine Person ausmacht. Hier ist die Behinderung nicht nur eine Diagnose, sondern macht die Identität aus. Du sagst in diesem Fall: behinderter Mensch, Autist*in, Taube*r oder Blinde*r.

© Julia Tröndle/Caterina Zurzolo

DO: Frag’ uns nach unserer Vorliebe und zeig’ Respekt! 

Die Entscheidung, wie wir Menschen mit chronischen Erkrankungen und/oder Behinderungen uns selbst beschreiben oder definieren, ist eine höchst persönliche. Respektiere also diese Entscheidung. Ich habe mich dafür entschieden, beide Sprachen zu nutzen, weil ich mich damit identifiziere, dass ich sowohl an erster Stelle Mensch bin, als auch damit, dass meine chronischen Erkrankungen und Behinderung meine Lebenswelt, meine Wahrnehmung und mein Agieren stark beeinflussen.

DON’T: Sag’ “gehandicapt“. 

Denn “Handicap“ kommt aus der Lotterie und dem Golf und dient dem Vergleich. Wir sind auch nicht “Menschen mit besonderen Bedürfnissen“. Wir haben Bedürfnisse wie jede*r andere auch. Und wenn dir doch ein Fehler unterläuft, reagiere nicht defensiv, sondern gestehe dir ein, dass du mit deinen Worten jemandem ein ungutes Gefühl vermittelt hast. 

Vermeide auch Wörter wie Krüppel, Psycho, Mongo, Freak oder Zwerg. Und vermeide Sätze wie “leidet an…“ oder “an den Rollstuhl gefesselt“. Raul Krauthausen (ein Behindertenaktivist) sagte mal dazu: „Sollten Sie tatsächlich jemanden treffen, der an den Rollstuhl gefesselt ist, binden Sie ihn los!“

DO: Verwende das Wort “behindert“.

Wir wissen, dass wir chronisch krank und/oder behindert sind! “Behindert“ ist kein böses Wort. Es ist eine neutrale Selbstbezeichnung. Nicht mehr und nicht weniger. Nur haben wir es zu oft missbraucht, es zu einem Schimpfwort gemacht und haben dafür gesorgt, dass es seine tatsächliche Bedeutung verloren hat. Und wenn du anschließend neue, beschönigende, verschleiernde Worte erschaffst, in dem Glauben, dich damit vielleicht wohler zu fühlen, machst du Behinderung zu einem Tabu. Du vermittelst damit, dass eine Behinderung etwas Negatives ist, das du umschreiben musst.

© Julia Tröndle/Caterina Zurzolo

DON’T: Stell’ Vermutungen auf und sag, dass du unsere Lebensrealität kennst. 

Ich schätze es, wenn Menschen mir zuhören und verstehen wollen, wie sich mein Leben verändert hat. Aber Sätze wie: “Das hab ich auch“, führen dazu, dass ich mich weniger verstanden fühle und das, was ich erlebe, untergraben wird. Ein Leben mit einer chronischen Erkrankung und/oder Behinderung ist nie vergleichbar mit einer zeitlich begrenzten Erfahrung, von der du dich wieder erholen kannst. 

Vielleicht hast du erlebt, wie es sich für den Moment anfühlt, im Rahmen einer vorübergehenden Erkrankung oder nach einer Operation – nur eben nicht das breite Spektrum an Barrieren und Diskriminierung. “Innerlich kocht es oft in mir, wenn andere glauben, Expert*innen in etwas zu sein, dass sie selbst nie durchlebt haben oder mir sogar das Gefühl geben, eine Belastung zu sein”, so Alicias.alltag. Bevor du deine Erfahrung mit unserem lebenslangen Erleben vergleichst, nutze deine Stimme, um Mauern einzureißen.

DO: Frag’, ob es okay ist, Fragen zu stellen. 

Hör zu und lerne von denen, die täglich damit leben. “Ich würde mir wünschen, dass weniger Unterstellungen oder Feststellungen getroffen werden. Stattdessen: “Wie geht es dir damit? Was bedeutet das für dich? Welche Einschränkungen/Symptome hast du? Kann ich dir irgendwie helfen? Ich finde es wichtig, dass verstanden wird, dass wir, wenn wir von unserer Erkrankung erzählen, keine Lösung erwarten“, so Mi.cfs.

Und als Anmerkung: Sprich mit uns, wie mit jeder*m anderen auch. Respektvoll und direkt. Und wenn du keine Antwort bekommst, respektiere auch das. Menschen mit chronischen Erkrankungen und/oder Behinderungen schulden dir nichts. 

© Julia Tröndle/Caterina Zurzolo

DON’T: Belehre uns. 

“Unnötige Vorschläge wie Yoga, Sport, Meditation als Heilung sind so nervig. Und oft wollen die Leute sagen, dass sie es irgendwie stark finden, dass man mit der Krankheit umgehen kann, aber stattdessen sagen sie, dass sie so nicht leben könnten. Das vermittelt irgendwie, dass unser Leben nicht lebenswert ist”, erzählt mir Alex.with.stripes.

DO: Verteile erst Tipps, wenn du danach gefragt wirst. 

Wir sind alle so unterschiedlich und haben schon so vieles probiert. Schließlich geht es um unsere Körper. Und auch wenn du glaubst, wir haben xyz noch nicht versucht – glaub mir, haben wir.

DON’t: Geh’ davon aus, dass alles nur Show ist.

Nur weil du uns einmal draußen antriffst, kennst du weder die Konsequenz, die unser Körper daraus zieht, noch weißt du, was wir dafür gegeben haben. Es kann ein “guter” Tag sein oder wir lassen uns nicht anmerken, wie es uns wirklich geht.

DO: Vergiss uns nicht!

Höre nicht auf, uns einzuladen, weil wir zu oft absagen. Genau diese Kleinigkeiten können die Welt bedeuten. Es liegt nicht an dir, sondern daran, dass uns leider oft die Energie fehlt oder unsere Löffel am Ausgehen sind.

DON’T: Spiel’ mit unseren Hilfsmitteln. 

Du würdest jemand Fremden auch nicht einfach nach vorne stoßen, oder an der Hand packen. Hilfsmittel sind wie eine Erweiterung unserer Körper. Auch Assistenzhunde sind meistens im Dienst. Wenn du sie einfach streichelst, lenkst du sie ab und sie übersehen möglicherweise Hindernisse oder wichtige medizinische Warnsignale. Ein Hilfsmittel soll unser Leben erleichtern und ist kein Unheil, wie das Vorurteil sich hartnäckig hält – daher sieh’ einen Rollstuhl einfach als einen Stuhl auf Rädern und einen Gehstock nicht als Synonym für Sich-aufgeben.

© Julia Tröndle/Caterina Zurzolo

DO: Biete deine Hilfe an! 

Das ist großartig. Nur wenn deine Hilfe nicht gewollt ist, fühl dich nicht vor den Kopf gestoßen. Es geht hierbei nicht um dich.

DON’T: Sei immer positiv. 

Belehrt werden, dass man einfach positiver sein sollte und sich nur in seine Erkrankung hinein denkt, nervt“, so Magda.jssl. Sätze verpackt in toxische Positivität wie: “Schmerz macht dich nur härter.”, “Durchbeißen!”, “Du musst nur positiv denken.”, oder “Hör auf zu Jammern.” und “Setz’ dir ein Lächeln auf, wirst sehen das hilft”, richten nur Schaden an und vermitteln uns, dass, wenn wir nur etwas mehr “wollen” und etwas positiver sind, wir geheilt werden oder es uns besser geht. Bedeutet, wir sind im Grunde selbst Schuld an unseren Erkrankungen und/oder Behinderungen.

DO: Erkenne alle Gefühle an, nicht nur die Positiven. 

“Alles sugarcoaten finde ich so schlimm!“, so auch Chantalohmen. Stattdessen kannst du sagen, dass du uns glaubst und für uns da bist.

DON’T: Starr’ uns an.

Wenn dir jemand begegnet, der*die durch sein*ihr Erscheinungsbild oder Verhalten auffällt, fange nicht an zu starren oder auffällig wegzusehen. Das kann sehr verletzend sein.

DO: Schau’ nicht weg!

Du fragst dich, wie das gehen soll, wenn du nicht starren und auch nicht wegsehen sollst? Na im Grunde so, wie du jede*n andere*n auch auf der Straße realisierst und dann weiter deiner Wege ziehst.

DON’T: Gib’ uns keine Arbeit.

Der Arbeitsmarkt ist für uns noch immer mit vielen Barrieren verbunden. Oftmals ist es nicht einfach, überhaupt eine Arbeit zu bekommen. Dazu erschweren es auch unsere Symptome, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Ein Leben mit chronischer Erkrankung und/oder Behinderung kann ziemlich teuer werden, bei allem für das wir aufkommen müssen. Also sag’ uns nicht, dass es an unserer Faulheit scheitert, sondern hilf’ uns Barrieren abzubauen.

DO: Setz’ dich aktiv für uns ein.

Es gibt genug Wege, uns zu unterstützen. Setz dich für uns ein und sei ein*e gut*r Verbündete*r. Hör uns zu, glaube uns, sei mit uns laut oder unterzeichne Petitionen, unterstütze uns bei Demonstrationen oder spende für Forschung. Viele von uns arbeiten als Aktivist*innen – du kannst unsere Arbeit finanziell unterstützen, indem du unser Business unterstützt, oder unsere Kunst kaufst, Patreon abonnierst oder spendest, wenn jemand dringend medizinische Hilfestellung benötigt. 

© Julia Tröndle/Caterina Zurzolo

DON’T: Lobe uns, weil wir den Alltag meistern.

Unterlass es Menschen mit Behinderungen zu loben, weil sie ihre täglichen Aufgaben meistern, weil sie ihre Behinderungen überwunden haben oder etwas trotz Barrieren geschafft haben. Unterlass es, nicht-behinderte Menschen zu loben und zu ehren, weil sie mit einem Menschen mit Behinderung ausgehen oder zum Abschlussball begleiten. Wir müssen nicht gerettet werden!

DO: Mache andere auf ihr ableistisches Verhalten aufmerksam. 

Orientiere dich dabei an uns, wenn es darum geht, uns Rückendeckung zu geben und warte ab, welchen Weg wir dafür einschlagen. Und teile keine Beiträge, Memes oder Gifs, die z.B. einen Menschen mit Behinderung zeigen, der “trotz“ seiner Behinderung sportelt, mit dem Headliner: “Was ist deine Entschuldigung?“ Und wenn du sie teilst, mache darauf aufmerksam, wie ableistisch diese sind. Menschen mit chronischen Erkrankungen und/oder Behinderung sind nicht deine Motivation oder Inspiration, damit du dich besser fühlst.

Jede unserer Geschichten ist einzigartig und deshalb erheben diese Worte keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist ein Versuch vom Begreifbarer-machen vieler Lebensrealitäten. Doch die Wahrheit jedes Einzelnen liegt irgendwo dazwischen. Was du siehst, ist manchmal nur ein Bruchteil vom großen Ganzen. 

Also wenn du das nächste Mal glaubst, etwas über dein Gegenüber zu wissen, dann hör’ einfach mal zu, stell’ deine Vorurteils-Jukebox für einen Moment mal auf Pause oder geh’ unsere Dos and Don’ts durch. Denn vielleicht entdeckst du etwas ganz anderes, als du erwartet hast oder zu wissen glaubst.

Über Caterina Lucrezia

Als Sozialarbeiterin interessiert sie sich dafür, was “hinter den Dingen” steht. Ihren Instagram-Account nutzt sie als Sprachrohr für ihr Leben mit chronischen Erkrankungen und Behinderung. Sie möchte mit Vorurteilen brechen. Dabei geht es ihr nicht um Verurteilung, sondern Menschen aufzufordern, wirklich zuzuhören, bevor sie die Welt durch ihr Rasterschema laufen lassen.

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