Wie barrierefrei ist mein Leben?

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Hey there! Mein Name ist Chiara und ich bin seit 2016 aufgrund von chronischen Schmerzen in den Füßen behindert. Mein Leben ist nicht leicht und schon gar nicht barrierefrei – aber was bedeutet Barrierefreiheit überhaupt?

Wenn ich „Barrierefreiheit“ sage, was kommt euch dabei in den Sinn? Eine Rampe für einen Rollstuhl? Blindenwege? Für die meisten endet es hier. Ich kann es euch auch nicht übel nehmen, die Aufklärungsarbeit bezüglich Barrierefreiheit ist nicht ausreichend.

© Chiara Seidl

Viele denken bei Barrierefreiheit an physische, reale Barrieren, die einer behinderten Person das Leben erschweren, dem ist nicht so. Bei Barrierefreiheit geht es nämlich auch darum, dass immer Untertitel für gehörlose Menschen verfügbar sind oder, dass Bilder auf Instagram mit Alternativtext für sehbehinderte Menschen versehen sind. 

Bei Barrierefreiheit geht es darum, dass ein behinderter Mensch, sei es in Folge von physischen Erkrankungen, psychischen Erkrankungen, Neurodiversität oder Entwicklungsstörungen, im Alltag nicht behindert wird.

Ich möchte euch mittels drei Bereichen zeigen, wie ich im Alltag behindert werde: 

Schule, Uni und Prüfungsmethoden

Ich bin jetzt 21 Jahre alt. Als meine Schmerzen anfingen, war ich noch in einem Gymnasium in St. Pölten. Es dauert eine Weile, bis man mit täglichen, ununterbrochenen Schmerzen umgehen kann. Ich war zu Anfang in der Schule sehr oft abwesend und als mir und meiner Familie bewusst wurde, dass die Schmerzen wohl in nächster Zeit nicht so schnell verschwinden würden, musste ich Lehrer*innen über meinen Zustand informieren.

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Wenn ich jetzt daran zurückdenke, waren alle sehr verständnisvoll. Vielleicht lag es daran, dass ich eine sehr gute Schülerin war, vielleicht daran, dass sie wussten, dass man behinderten Schüler*innen nun mal entgegenkommen muss, um sicherzugehen, dass sie in ihrer Bildungskarriere nicht zurückfallen. 

Ich war bis zu meiner Matura in drei klinischen Aufenthalten: Einer davon dauerte sechs Monate. In diesem Aufenthalt hatte ich Zugang zu Bildung und konnte somit mit meiner Klasse maturieren, auch wenn ich mir zumeist in Fächern wie Mathe, Physik und Chemie selber helfen und mir die Dinge selber beibringen musste. Meine Lehrer*innen haben mich zu dieser Zeit (speziell in Kernfächern) geschont. 

Jetzt studiere ich an der Universität Wien. Hier gibt es die Möglichkeit auf abweichende Prüfungsmethoden für behinderte Menschen. Diese werden individuell auf die Behinderung zugeschnitten. Ich beispielsweise bekomme 20 Prozent mehr Prüfungszeit, verlängerte Fristen und die Möglichkeit auf eine schriftliche Kompensation, wenn ich an Exkursionen nicht teilnehmen kann. 

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Ich habe von der Möglichkeit auf abweichende Prüfungsmethoden jedoch erst im vierten Semester erfahren, die Aufklärungsarbeit hätte also besser laufen können. 

Regale, Kassa und schmerzende Füße

Gerade befinde ich mich in einer privilegierten Position, weil ich studiere und daneben nicht arbeiten muss. Ich bin sehr dankbar dafür, weil ich aufgrund starker Schmerzen oft arbeitsunfähig bin. 

Nach meiner Matura musste ich jedoch einen Job bei einem Supermarkt annehmen, bei dem ich zwischen Kassa und Regal aufstocken wechseln musste. Die Regalarbeit war sehr schlimm für mich, da ich oft sechs Stunden auf meinen Schmerzen stehen musste und fast immer mit brennenden Füßen den Supermarkt verlassen habe. 

Ich war eine gute Mitarbeiterin und habe immer dafür gesorgt, dass man nicht merkt, dass ich Schmerzen habe. Ich habe immer Lob von meinem Chef und sogar Kund*innen bekommen. Als ich jedoch einmal eine Woche so starke Schmerzen hatte, dass nur Kassadienst möglich war, musste ich meinen Chef über meine Schmerzen informieren. Zwei Wochen später wurde ich entlassen.

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Selbstbestimmung und suizidale Gedanken

In meinem Privatleben erlebe ich Ableismus am häufigsten von Ärzt*innen, da ich aufgrund meiner Erkrankung diese oft aufsuchen muss. Es passiert nur zu oft, dass mir nicht geglaubt wird, dass ich starke Schmerzen habe. 

Ich besuche Schmerzambulanzen, da kommt es oft vor, dass Krankenpfleger*innen oder Ärzt*innen sich nicht an mich und meinen Zustand erinnern und mich oft als eine Frau einschätzen, die nur hin und wieder leichte Schmerzen hat. Das stimmt aber nicht. 

Oft wird nur ÜBER mich gesprochen und nicht MIT mir. Ich habe nur selten Einfluss darauf, wie ich behandelt werde und womit. Selbstbestimmung ist bei chronisch kranken Menschen kaum vorhanden. 

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Ich kann mich auch noch gut erinnern, als ich Patientin in der St. Pöltener Schmerzambulanz war und einem Arzt von suizidalen Gedanken erzählte, da die Schmerzen oft unerträglich sind. Ich versuchte mich zu öffnen und bekam nur ein schroffes „Dann gehns nach Mauer, ein Anruf von mir und Sie kommen in die Geschlossene“ zurück. Danach habe ich geweint. Nicht mein bestes Erlebnis, so viel ist sicher. 

Ableismus nachhaltig bekämpfen

Etwas in mir sagt, dass wir Ableismus nur nachhaltig bekämpfen können, wenn wir eine radikale Systemänderung vornehmen. Wir müssen dafür sorgen, dass jedes Gebäude, jede Wohnung und jede Veranstaltung barrierefrei ist. Psychisch oder chronisch kranke Menschen sollten nicht extra nachfragen müssen, dass das passiert.

Wir müssen antiableistische Maßnahmen in die Medizin- und auch sonstige sozial angelegte Studiengänge einbauen und die Student*innen für diese Themen sensibilisieren, dass behinderte Menschen durch sie nicht noch mehr leiden müssen. Wir brauchen antiableistische Gesetze, die Diskriminierung bekämpfen und verhindern. Ich hoffe sehr, dass die Menschen, die am Hebel sitzen, sich dem bald annehmen.

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Und bis ich ein Leben leben kann, wo Rücksicht auf meine Schmerzen und meine Behinderung genommen wird, ist mein Leben nicht barrierefrei. 

Über Sascha

Sascha ist eine 21-jährige Geschichte und Englisch Studentin. Sie ist politische Aktivistin und redet speziell auf ihrem Instagram Account über Queerfeindlichkeit, Sexismus und Ableismus. 2016 erkrankte sie an einer Virusinfektion und hat seitdem chronische Schmerzen.