Er veränderte sich, ich lernte andere Realitäten kennen
In unseren Gesprächen teilte er mir die Hürden und Anstrengung mit, die notwendig waren, um seiner psychischen Belastung Linderung zu verschaffen. In einem Körper aufzuwachsen und mit einer Geschlechtsidentität sozialisiert und erzogen zu werden, die sich nicht mit dem eigenen Empfinden und der eigenen Wahrnehmung deckt, ist, so habe ich es durch J. erfahren, eine immense Zerrissenheit. Es folgten Gutachten, Ansuchen, Amtswege, Medikamente und schließlich Operationen. Mit jedem Schritt mehr konnte ich sehen, wie J. aufblühte, wie er die Leichtigkeit und das Glück, das eigentlich seinem Naturell entsprach, zurückgewinnen konnte.
Wir sitzen also in einem Café in dem größten Shopping-Center des Bundeslandes, sind ein wenig schüchtern, aber kommen recht bald ins Gespräch. J. hat dunkelblondes, kurzes Haar und trägt zeitgemäß einen Seitenscheitel, der einen Teil seines Gesichtes mit einer Strähne verdeckt. Wir überwinden jede Barriere, die zwischen digitalem Raum und Realität aufgebaut scheint, und bei fortschreitendem Gespräch beichte ich ihm, dass meine Mutter mich begleiten musste.
Gegen Ende des Treffens sitzen wir zu dritt an einem Tisch, J., meine Aufsichtsperson und ich. Wir haben eine gute Zeit, auch meine Mutter kann sich seinem Charme und Zauber nicht lange beugen und es ist der Beginn von etwas, das ich heute, mehr als fünfzehn Jahre später, als erste Verliebtheit bezeichne.