Sprachgewitter: Die erste Liebe, ein Transmann

  • Lesedauer: 4 Minuten

Ich bereitete mich auf unser erstes Date vor, steckte eine blaue Schleife mit Leopardenmuster in meine schwarz gefärbten Haare, schmierte drei Schichten schwarzen Kajal unter meine Augen und zog mein coolstes Band T-Shirt an. In anderen Worten: I was making an effort. Den Schauplatz für das Treffen bot vor über fünfzehn Jahren ein großes Shopping-Center in Niederösterreich. Der Altersunterschied zwischen mir und meinem Date war beachtlich.

Das war vor allem für meine Eltern ein Thema und der ausschlaggebende Grund, dass meine Mutter darauf bestand, mich zu begleiten. Mit großem Widerstand akzeptiere ich, dass die einzige Möglichkeit ihn zu treffen nur jene war, meine Mutter an einem Randtisch in einem Café sitzen zu haben.

Wir lernten uns auf einer digitalen Chatplattform kennen, schrieben Tag ein, Tag aus, telefonierten schon bald, ganz zum Leidwesen meiner Eltern, die sich mit horrenden Telefonrechnungen konfrontiert sahen. Ich interessierte mich nicht für die Jungs in meiner Schule, die meisten davon spielten Handball, der Rest Schach. Ich war nach einem Umzug und Schulwechsel auf einem gutbürgerlichen Gymnasium gelandet und fühlte mich unter den Ärzt*innen- und Bankdirektor*innen-Söhnen fehl am Platz.

Was ihn unterschied

 

Die Nervosität vor unserem ersten Treffen stieg mir in die Kehle, wie ein überdimensional großer Ballon. Gleichzeitig schwang eine große Vorfreude und jugendliche Verliebtheit mit. Er, das war J., der in Wien lebte und der so klug und witzig und offen schnell Teil meines Alltags und meiner Tagträume wurde. 

 

Was J. neben seinem sanften Wesen von anderen Jungs unterschied, war die Tatsache, dass er sich gerade „in Transition“ befand. Das bedeutet, dass er kurz nach Vollendung seiner Volljährigkeit endlich damit beginnen konnte, seinen Körper dem Geschlecht anzugleichen, dem er sich zugehörig fühlte. Etwas zögerlich und durch vorangegangene Erfahrungen schambehaftet, beichtete er mir seinen aktuellen Status, als sich mehr und mehr abzeichnete, dass wir beide uns näher kennenlernen wollten. 

Edited by BAM! | Johanna

Er veränderte sich, ich lernte andere Realitäten kennen

 

In unseren Gesprächen teilte er mir die Hürden und Anstrengung mit, die notwendig waren, um seiner psychischen Belastung Linderung zu verschaffen. In einem Körper aufzuwachsen und mit einer Geschlechtsidentität sozialisiert und erzogen zu werden, die sich nicht mit dem eigenen Empfinden und der eigenen Wahrnehmung deckt, ist, so habe ich es durch J. erfahren, eine immense Zerrissenheit. Es folgten Gutachten, Ansuchen, Amtswege, Medikamente und schließlich Operationen. Mit jedem Schritt mehr konnte ich sehen, wie J. aufblühte, wie er die Leichtigkeit und das Glück, das eigentlich seinem Naturell entsprach, zurückgewinnen konnte.

Wir sitzen also in einem Café in dem größten Shopping-Center des Bundeslandes, sind ein wenig schüchtern, aber kommen recht bald ins Gespräch. J. hat dunkelblondes, kurzes Haar und trägt zeitgemäß einen Seitenscheitel, der einen Teil seines Gesichtes mit einer Strähne verdeckt. Wir überwinden jede Barriere, die zwischen digitalem Raum und Realität aufgebaut scheint, und bei fortschreitendem Gespräch beichte ich ihm, dass meine Mutter mich begleiten musste. 

Gegen Ende des Treffens sitzen wir zu dritt an einem Tisch, J., meine Aufsichtsperson und ich. Wir haben eine gute Zeit, auch meine Mutter kann sich seinem Charme und Zauber nicht lange beugen und es ist der Beginn von etwas, das ich heute, mehr als fünfzehn Jahre später, als erste Verliebtheit bezeichne.

Edited by BAM! | Johanna

Ein Elefant im Raum

 

Den Elefanten im Raum, den J. in vielen schmerzlichen Erfahrungen als Sorge mitbringt, schicken wir kompromisslos fort. Ich habe bis dato das Konzept des angeborenen bzw. der im Zuge der Geburt zugewiesenem Geschlechts nie hinterfragt, in der Tat habe ich erst kurze Zeit vorher begonnen, mich überhaupt für Jungs zu interessieren und begriffen, wie Anziehung und Verliebtheit sich anfühlen. 

Durch die Begegnung mit J. bekomme ich hautnah mit, was es bedeutet und was es braucht. Wir führen viele Gespräche, er lässt mich an formalen Prozeduren teilhaben. Wir sprechen über seine Therapiesitzungen und ich tröste ihn, wenn er in seiner Familie oder im Freundeskreis auf Unverständnis trifft.

Für mich hingegen war von Anfang an klar: Ich habe einen jungen Mann kennengelernt, ich habe mich in einen Menschen verliebt, dessen Geschlecht mir nicht egal war, doch dessen Geschlechtsidentität für mich nie in Frage stand. J. hat sich mir als Mann vorgestellt und das war er. Auch meine Eltern schlossen ihn ins Herz und so kommt es, dass es meine Mutter bis heute nur schwer verschmerzte, nicht ihren Lieblingsschwiegersohn bis ans Ende meiner Tage an meiner Seite zu wissen.

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Happy Ever After, oder?

 

An irgendeinem Punkt ließ die Verliebtheit nach, ich kann aus heutiger Sicht nicht mehr ausmachen, wer von uns sich letztlich zurückzog. Doch J. und ich entfernten uns nicht im Schlechten. Kurze Zeit später lernte er seine heutige Ehefrau kennen, sie haben gemeinsam zwei Kinder und soweit ich das beurteilen kann, führt er ein glückliches Leben. Manchmal gratulieren wir uns zum Geburtstag oder melden uns kurz, wenn wir auf den sozialen Plattformen ein schönes Lebensereignis mitbekommen.

Edited by BAM! | Johanna

Diese Geschichte über meine erste Verliebtheit könnte eine banale und austauschbare Erzählung aus dem Alltag eines Teenagermädchens sein. Für mich ist sie das im Grunde auch, doch sie ist auch ein Beispiel dafür, dass Transgeschlechtlichkeit keine Abweichung der Norm darstellt. 

 

Mein Eindruck ist, dass es zunehmend mehr Menschen verstehen, ihren Horizont zu erweitern, in dem es nicht nur zwei Geschlechter gibt und selbst klassische Kategorien wie männlich und weiblich nicht von Geburt an ultimativ festgelegt sein können. Gender, das wissen wir heute mehr denn je, ist ein Spektrum, in dem Begriffe wie männlich und weiblich Punkte markieren. Durch Aufklärung und die unermüdliche Arbeit von Aktivist*innen und Betroffenen erweitert sich auch die Sprache, wie z.B. wenn Personen sich als nicht-binär bezeichnen, sprich: sich weder mit dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht identifizieren.

Der unermüdliche Kampf nach einem Leben in Freiheit

 

Die Realität von queeren und Transpersonen ist bei all der Sensibilisierung der letzten Jahre und Jahrzehnte bis zum heutigen Tag geprägt von Hass, Vorurteilen, Diskriminierung und Gewalt. Sich als Transperson zu outen, ist in manchen Gegenden dieser Welt strafbar und in anderen schlicht und ergreifend nicht sicher. In meiner Utopie ist der Umstand, das biologische Geschlecht der Geschlechtsidentität angleichen zu wollen und zu müssen, kein Zeichen von Andersartigkeit, es ist ein Recht. 

Edited by BAM! | Johanna

Ich bin froh um die (medizinischen) Möglichkeiten, die Transpersonen heute haben. Wen wir lieben, von wem wir uns angezogen fühlen, womit wir uns identifizieren und wer wir selbst sein müssen oder wollen, darf nicht von konservativen und engen Denkstrukturen unterdrückt werden. Was bleibt, ist die Arbeit in der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung, die Sensibilisierung und Akzeptanz, damit Menschen wie J. ohne Trauma und Diskriminierung aufwachsen und leben können. 

 

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.