Wie wir uns für die Liebe wie Produkte auf den Markt stellen

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Vor etwa zwei Jahren hat meine Politikwissenschafts-Professorin einen Satz gedropped, der mich bis heute beschäftigt. Damals meinte sie, dass Dating-Apps wie Tinder einen Markt an Menschen widerspiegelt, auf dem wir versuchen, uns wie Produkte zu verkaufen.

Obwohl Online-Dating in meiner Welt als Norm gilt, heißt es trotzdem nicht, dass es keine fragwürdigen Verhaltensweisen in Menschen aufbringt. Verhaltensweisen, die Normalität werden und die keiner hinterfragt. Die Tinderisierung der Liebe bringt jedenfalls seine Vor- und Nachteile. Und auch wenn ich keine Spielverderberin sein möchte, sollten wir uns auch mit den Schattenseiten des Online-Datings befassen.

Schnell! Wo bleibt mein Soulmate?

Wenn ich in diesem Kontext von Schattenseite spreche, meine ich diesmal nicht die sexuellen Belästigungen, das übergriffige Verhalten oder die Oberflächlichkeit in der Online-Dating-Bubble. Diesmal müssen wir den Fokus auf unsere (immer größer werdende) Ungeduld legen. Schon klar, dass wir in Zeiten von Internet, Digitalisierung und Technisierung keinen Bock mehr auf Warten haben. In Zeiten wie diesen, in denen viele von uns in Sekundengeschwindigkeit an Informationen gelangen können, bleibt eben wenig Geduld.

Wir loggen uns in unsere Mail-Konten und verschicken so die Post, anstatt den langen, mühsamen Weg ins Postamt zu wagen. Wir bestellen in wenigen Minuten unser Lieblingsgericht, anstatt eine Stunde in der Küche zu stehen. Wir wollen alles schneller und effizienter erleben. Dieses Muster überträgt sich immer mehr in alle unsere Lebensrealitäten: auch auf unsere Partner*in-Suche. Wir vertrauen mittlerweile auf angepasste Algorithmen anstatt auf unsere eigene menschliche Einschätzung. Mein Bauchgefühl ist doch irrelevant, wenn ein mathematisches Berechnungsverfahren für mich meine/n perfekte/n Partner*in findet. Oder? Jedenfalls kommen diese Algorithmen zum Einsatz, wenn es darum geht, jemand Passenden so schnell wie möglich zu finden.

© BAM! | Marietta Dang

Ein digitaler Fleischmarkt 

Online-Dating ist für viele von uns Normalität geworden, nicht nur für mich. Wir alle kennen jemanden, der schon mal online auf Partner*in-Suche war. Vielleicht bist du selbst momentan auf Tinder und Co. aktiv. Fakt ist: Nichts daran ist beschämend. Wir sind schlussendlich Kund*innen, die ein Produkt genießen und uns eventuell nicht ganz bewusst sind, wie sich dieser Genuss auswirkt und von außen betrachtet ausschaut.

Dating-Plattformen verlangen von dir Informationen zu deinem Gewicht, deiner Körpergröße, zu deiner Augen- und Haarfarbe, zu deiner Ausbildung und zu deinen Hobbys. Danach lädst du ein Foto hoch und schon bist du Teil des digitalen Fleischmarkts. Hier kannst du dich von deiner besten Seite präsentieren und auf so viele Matches wie möglich hoffen. Je mehr, umso besser – schließlich hängt auch unser Selbstvertrauen davon ab, wenn wir ehrlich sind.

© BAM! | Marietta Dang

Gleichzeitig können wir auf diesem Markt ansehen, was die anderen zu bieten haben. Manchmal entscheiden wir uns mit einem Sekundenblick für oder gegen eine Person. Manchmal betrachten wir die uns vorgelegten Informationen etwas näher und länger und entscheiden uns dafür oder dagegen.

Der große Wunsch, so viele Matches wie nur möglich zu erhalten, widerspiegelt, wie wir den Wert von herkömmlichen Produkten definieren: Je höher die Nachfrage, umso mehr Gewinn. Umso beliebter das Produkt. Am Ende des Tages wandelt man sein ganzes Ich und die dazugehörigen Eigenschaften und Merkmale in ein Produkt, welche andere sich ansehen können. Wir präsentieren uns für Interessierte, die dann in wenigen Sekunden entscheiden können, ob sie mehr Zeit und Energie in uns investieren wollen oder nicht.

© BAM! | Marietta Dang

Der Tinder-Zyklus

Nein, das ist keine weitere Black Mirror Episode über die Zukunft der Menschheit, sondern Realität, die jeden Tag ausgelebt wird. Mehr als 600.000 Österreicher*innen sind auf Online-Dating Webseiten unterwegs. Mittlerweile wird die Liebe als eine schnelle und oberflächliche Bindung gesehen. Oftmals lässt sie uns emotional leer zurück. Manche von uns entwickeln vielleicht eine Swipe-Sucht und finden großes Gefallen an so einem digitalen Werkzeug, welches es ermöglicht, Liebe und Sex auf schnellste Art und Weise zu finden.

Letzteres würde Unternehmen wie Tinder ziemlich glücklich machen: Finde eine Person. Beende es. Komm zurück. Finde eine neue Person. Beende es und komm wieder zurück. Wiederhole den Zyklus. Je öfter du nämlich Tinder verwendest, umso mehr unterstützt du das Unternehmen bei der Gewinnmachung.

Oft wollen Dating-Plattformen den Anschein erregen, als hätten sie großes Interesse daran, so viele „perfekte Matches“ wie möglich zu finden. Die Wahrheit ist, dass Langzeitbeziehungen ihnen mehr schaden als einen Vorteil bringen. Menschen in (glücklichen) Beziehungen bedeutet für die Anbieter, dass sie nicht mehr zurückkommen um zu Swipen.

Sie wollen Profite statt Liebesgefühle maximieren

Wenn die einst intimsten Bereiche in unserem Leben in kaufbare und genießbare Produkte verwandelt werden und dieser Zustand zur Norm wird, können wir eigentlich nichts dafür. Es sind Unternehmen, die mit durchdachter Strategie und großer Lust auf Profitmaximierung arbeiten.

 

Für uns Kund*innen bedeutet das aber, dass wir reflektierter und achtsamer damit umgehen müssen. Wir müssen verstehen, dass die Liebe mittlerweile auch ein Mittel zum Geld ist. Dass trotz aller unzähligen Dating-Plattformen nicht unsere Bedürfnisse, sondern Profite im Vordergrund stehen. Die Technologie ist neutral, wie wir sie aber einsetzen und für welche Zwecke wir sie verwenden, ist das Entscheidende.

Über Berfin

Berfin Marx studiert Politikwissenschaften. Auf ihrem IG-Account @berfin.marx schafft sie einen Safe Space, bei dem sie über Rassismus, intersektionalen Feminismus und Klassenbewusstsein aufklärt und andere Menschen dazu inspiriert, sich zu engagieren oder einfach nur ihren Wissenshorizont zu erweitern.