No feeling is final: Meine Tipps für dich, wie du jemandem in der Krise beistehen kannst

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Wir alle kennen sie. Die Krisen und Herausforderungen, die das Leben mit sich bringt. Sie begegnen uns zu unterschiedlichen Zeitpunkten, variieren in ihrer Wucht und Dauer, aber hinterlassen beinahe in jedem Fall eine signifikante Marke zurück. Einen Einschnitt. Ob es  Trennung ist, existentielle Sorgen oder der Kampf mit einer psychischen oder physischen Erkrankung. Es gibt sie, die sogenannten Schicksalsschläge – in unserem Leben, aber ebenso im Leben der Menschen, die wir lieben und die uns nahe stehen.

Nicht immer wissen wir, wie wir damit umgehen sollen oder können, wenn eine uns nahestehende Person leidet. In diesem Beitrag möchte ich ein paar – aus meiner Sicht essentielle – Möglichkeiten aufzeigen, wie man – ohne eine psychosoziale Ausbildung zu haben – eine Unterstützung für Andere in herausfordernden Zeiten darstellen kann. 

© Jaqueline Scheiber

Woher kommt meine Expertise?

Jene Erkenntnisse und Werkzeuge, die ich in weiterer Folge aufzeige, entstehen aus zwei wesentlichen Faktoren. Zum einen, weil ich selbst wiederholt in Betroffenheit einer Krise geraten bin und aus meiner Erfahrung und meinem Erleben berichten kann. Zum anderen, weil meine Ausbildung, das Studium der Sozialen Arbeit sowie meine jahrelange Erfahrung in der Arbeit mit Menschen, die sich oftmals in multiplen Problemlagen befinden, mich dazu qualifiziert hat, Auskunft darüber zu geben, was als hilfreich erachtet werden kann.

Allem voran möchte ich festhalten, dass Krisen nur bis zu einem gewissen Punkt von einem selbst und dem sozialen Umfeld getragen werden können. Eine professionelle Begleitung und Unterstützung ist im Zweifelsfall eine sinnvolle Addition, um durch eine schwere Zeit zu gelangen. Die Erfahrungen, die ich teile, können dabei dennoch unterstützend und begleitend mitwirken.

© Jaqueline Scheiber

Jeder Mensch ist individuell und geht ebenso individuell mit Krisen um. Viele Menschen haben sich bereits Gedanken dazu gemacht, wie man jemanden unterstützen kann. Dabei ist es mir wichtig zu betonen, dass dies keine absolute Anleitung ist. Sie kann in der Anwendung Abweichungen erfahren und nicht immer als hilfreich erachtet werden. Aber sie ist eine weitere Möglichkeit sich als Angehörige*r nicht ohnmächtig und hilflos zu fühlen.

Wichtige Fragen, bevor du aktiv wirst

Bevor du dich dazu entschließt als Angehörige*r oder Freund*in aktive Hilfe anzubieten, musst du dich selbst mit der Frage deiner eigenen Ressourcen auseinandersetzen. In welcher Lage befindest du dich gerade – ist diese ausreichend stabil, um für einen weiteren Menschen da zu sein? Fällt die Antwort darauf nicht eindeutig aus, ist es entscheidend abzuwägen, wie viel du bereit bist, anzubieten und zu geben und das in weiterer Folge klar zu kommunizieren. Darüber hinaus musst du dir die Frage stellen, wie viel Raum du einer anderen Person geben kannst – lässt es die zwischenmenschliche Beziehung zu, dass es in einem oder mehreren Kontakten nicht um deine Befindlichkeit geht, sondern du die der anderen Person in den Fokus stellst?

Bei klarer Kommunikation angelangt, kommen wir zu dem wesentlichen Punkt in der Unterstützung in Krisen. Deutliche Formulierungen, die wenig Interpretationsspielraum übrig lassen, sind der Kern jeder Begleitung. Ein Beispiel dazu wäre: „Ich habe gerade nicht die zeitlichen Ressourcen, um dir anzubieten, heute vorbei zu kommen, aber ich habe an  Tag XY Zeit, um bei dir vorbeizukommen und dir etwas zu kochen.“ 

© Jaqueline Scheiber

Was nun? Was tun?

Es gibt drei Dinge, die dir klar sein müssen, wenn du eine nahestehende Person mit einer Krise konfrontiert siehst: du kannst zumeist akut nichts an der Situation ändern, du kannst der Person das Durch- und Erleben der Krise nicht abnehmen und am wichtigsten davon: du weißt nicht, wie es sich anfühlt. Selbst, wenn du ähnliche Dinge erlebt hast, darfst du keine Rückschlüsse aus dem eigenen Empfinden auf eine andere Person projizieren. Ich betone es an dieser Stelle gerne nochmal: jede Krise wirkt sich in der Kombination einer individuellen Biografie völlig unterschiedlich aus. Es gibt keine allgemeingültigen Aussagen. Oft ist es schon ein großer Schritt anzuerkennen, dass du eben nicht nachempfinden kannst, was die Person gerade durchmacht. 

© Jaqueline Scheiber

Was du tun kannst: essentielle Bedürfnisse stillen. Das beginnt bei Essen kochen/vorbeibringen, im Haushalt helfen, oder das berühmte Zuhören und Da sein. Wichtig dabei ist auf gut gemeinte Ratschläge und Handlungsanleitungen zu verzichten. In den meisten Fällen willst du mit einem Ratschlag nichts Böses anrichten, du fühlst dich hilflos und möchtest der Person eine Hilfestellung aus dem eigenen Erfahrungsschatz bieten. Allerdings können diese vor den Kopf stoßen oder als unpassend empfunden werden. Im Idealfall wandelst du Ratschläge in Vorschläge um und versuchst diese möglichst offen zu halten. „Ich kann gerade nicht vollständig nachvollziehen, wie du dich fühlst. Als ich in einer ähnlichen Situation war, hat mir XY geholfen. Wenn du möchtest, begleite ich dich dabei, dies auszuprobieren.“

„Just checking in“

Eine simple, aber effektive Art der Unterstützung ist der Ausdruck von Anteilnahme und das wiederholte Nachfragen. Es signalisiert der Person, dass du an die Person denkst und den Kontakt aufrechterhälst. Oftmals fällt es Menschen in Krisen schwer auf Nachrichten und Angebote zu reagieren. Das kann unterschiedliche Gründe haben und kann damit zusammenhängen, dass man mit Kommunikation im Allgemeinen überfordert ist.

© Jaqueline Scheiber

Wiederholte, so konkret wie möglich formulierte Angebote bieten eine gute Grundlage zur Erhaltung einer Kommunikation. Das oft verwendete „Melde dich, wenn du was brauchst“ lässt die Person in der Krise mit einer Verantwortung zurück, die sie meist nicht tragen kann. Besser wäre ein konkreter Vorschlag wie z.B. „Möchtest du morgen um 16:00 mit mir eine Runde spazieren gehen? Alternativ kann ich dich auch besuchen und wir sehen uns einen Film an. Ja oder Nein ist als Antwort ausreichend.“ 

Wenn ein Angebot nicht angenommen wird, sollte das nicht dazu führen, dass du keine mehr machst. Sofern es, wie oben angesprochen, die eigenen Ressourcen erlauben, kann es sich als hilfreich erweisen, wenn du wiederholt konkrete Angebote setzt und die Antwort darauf nicht positiv oder negativ bewertest. 

© Jaqueline Scheiber

Zusammenfassend: 

Gesammelt kannst du die angeschnittenen Themen auf vier wesentliche Schritte herunterbrechen. 

1. Die eigenen Möglichkeiten abschätzen und formulieren – in weiterer Folge klar und wertschätzend kommunizieren

2. Die Gefühle und Erlebnisse der betroffenen Person als gültig wahrnehmen und anerkennen und sie als Expert*in ihrer/seiner Gefühlswelt betrachten

3. Essentielle Bedürfnisse als Hilfestellung anbieten, auf Ratschläge verzichten, jedoch alternativ Vorschläge in den Raum stellen

4. Dran bleiben. Wiederholte konkrete Angebote setzen, unabhängig davon, ob diese momentan angenommen werden können oder nicht

Dies sind nur ein paar Denkanstöße und Handlungsoptionen, die eine Begleitung möglich machen. Dem zu Grunde liegt eine Verbundenheit und ein ehrliches Interesse an der Erhaltung der Beziehung zu der Person, die gerade eine Krise erlebt. Mögen die beschriebenen Angebote noch so simpel und trivial wirken, ich kann aus eigener Erfahrung berichten: sie haben das Potential einen erheblichen Unterschied zu machen. Einen Unterschied, wie schnell oder wie gut man aus einem Schicksalsschlag oder einer Krise hervorgeht. Und abschließend ein Leitsatz, den es sich lohnt immer wieder vorzusagen: No feeling is final (Rainer Maria Rilke).

© Jaqueline Scheiber

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.