Hinter den Bergen: Warum in Österreich Friedhöfe so wichtig sind

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Ob das Licht am Grab nun brennt oder nicht, ist für die Harmonie vieler Familien maßgeblich. Warum Allerheiligen nach wie vor einen so großen Stellenwert hat und trotzdem mit Halloween konkurrieren muss, soll in dieser Kolumne geklärt werden. 

Der 1. November ist in Österreich ein gesetzlicher Feiertag. An Allerheiligen wird der Verstorbenen gedacht, und dazu geht man auf den Friedhof. Wer dieses Ereignis verpasst, bringt Schande über die Familie. Schließlich sind die anderen ja auch alle da.

© Cansu Tandogan

Es ist einer der wichtigsten Momente des Sehens und Gesehenwerdens. Hier wird – in Abwesenheit der Beschuldigten – beschlossen, wer (vielleicht) schwanger ist, wer ein Alkoholproblem hat und wessen Kinder sich einen Dreck um die Verstorbenen scheren. Ja vermutlich ist das ein bisschen übertrieben und nicht bei allen Familien der Fall, aber ihr wisst, worauf ich hinaus will.

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Am Land zeigt sich das Ansehen einer Familie auf dem Friedhof. Ganz wichtig: Schöne Blumen, kein Dreck am Stein und mindestens eine brennende Kerze sind Pflicht. So wie andere Leute immer Zigaretten und ein Feuerzeug mit sich herumtragen, so fanden sich bei meinen Eltern in den Fächern im Auto, in den Mänteln und Taschen überall Streichhölzer und mit rotem Plastik eingefasste Friedhofskerzen. Man wusste schließlich nie, wann man am Grab vorbeikommen würde. Und wehe, das Licht war aus! 

Klirrende Kälte und krachende Mikros

Der Friedhof bei uns zu Haus lag auf einem Hügel mit Aussicht über den Ort und den Wald. Meistens hingen dichte Nebelschwaden über den Friedhofsmauern. Allein die roten Lichter der Kerzen leuchteten. Der Pfarrer ging mit einer Schar an Kirchenangehörigen und Ministrant*innen einmal um den Friedhof herum. Vorne trug jemand ein großes Kreuz. Der Pfarrer sprach in ein Mikro, das entweder nicht funktionierte oder dessen Boxen am Friedhof laut krachten und knackten, was jedes Mal alle zusammenzucken ließ. 

© Cansu Tandogan

Überall standen Familien und blickten auf ihre Gräber. Viele versuchten, sich das Lachen zu verkneifen, während die Technik (wieder einmal) nicht funktionierte. Wie es sein konnte, dass jedes Jahr irgendwas nicht ging, ist für mich bis heute ein Rätsel. Die Menschen am Friedhof trugen alle gedeckte Farben. Ganz wichtig! Die Mäntel waren dunkelblau, dunkelgrau und schwarz und tief im Gesicht saßen die Hüte. Alle Jahre wieder diskutierten wir über passende Kleidung, und ob ich in der Leoparden Leggings gehen könne. (Spoiler, nein).

Der Priester zog mit seiner Meute seinen Kreis rund um den Friedhof. Jedes Grab wurde gesegnet, bei uns dauerte das mit allem Rundherum meistens eine Stunde. Ältere Menschen saßen auf mitgebrachten Campingstühlen, alle anderen mussten stehen. Als Kind fühlte es sich an wie vier Stunden. Ich war so neidisch auf ihre Sitzgelegenheiten. Egal, ob es in Strömen regnete oder schneite (Ende Oktober war alles möglich) die Menschen blieben artig stehen und zogen sich ihre Krägen weiter Richtung Ohren. 

© Cansu Tandogan

Es geht um viel mehr als Kerzen 

 

Meistens war es sehr kalt und man hörte den Pfarrer nicht. Nicht wenigen war auch speiübel oder sie konnten nicht aufhören, sich die Schläfen zu massieren, weil sie am Abend zuvor – dem 31. Oktober oder besser bekannt als Halloween – aus waren. 

Halloween hatte ursprünglich auch einmal etwas mit Gedenken zu tun. Heute verkleidet man sich aber einfach nur. In den vergangenen Jahren gewann das Fest immer mehr an Bedeutung. Am nächsten Tag steht aber jeder sexy Hase und jede*r sexy Polizist*in doch mit den Eltern und der Familie zusammen am Grab. Während hier und da noch Glitzer aus den Haaren fällt, bleibt keine Sünde von den Oldies unentdeckt. Während sie sich an ihre Campingsessel lehnen, schimpfen sie über dieses Halloween und dass das doch kein österreichischer Brauch sei. 

Creepy Bräuche 

 

Ein beliebter (und österreichischer!) Brauch ist hingegen der Allerheiligenstriezel oder der Allerheiligenzopf. Das ist ein geflochtenes Hefegebäck und die Form des Zopfs geht auf den antiken Trauerkult zurück. Sich die Haare zu schneiden, galt als ein Zeichen der Trauer. In Österreich wird dieser dann von den Tauf- und Firmpaten*innen an ihre Patenkinder verschenkt. 

© Cansu Tandogan

Ich hab sowas leider nie bekommen. Meine Freundinnen schon. So teilten wir den Striezel an den folgenden Tagen in der Schule zusammen mit den Fortgehgeschichten. 

Bei der Recherche zu diesem Text stieß ich übrigens auf einen weniger freundlichen, dafür interessanten Brauch: In manchen Gegenden hängt man den Allerheiligenstriezel an die Tür eines besonders geizigen oder streitlustigen Nachbar*in. Dieser ist allerdings aus Stroh und ein Diss der Superlative sozusagen. Vielleicht ist das einsetzbar als Bestrafung für alle, die sich vorm Friedhof Gehen gedrückt haben oder es planen.

© Cansu Tandogan

Zusammengefasst kann ich festhalten, dass die Bräuche von Halloween und Allerheiligen ziemlich unterschiedlich sind. Ich finde keine Gemeinsamkeiten, abgesehen von der Tatsache, dass beides mit sehr viel Frieren in der Kälte zu tun hat. Dass immer noch so viele Menschen stundenlang am Friedhof stehen, entweder aus Liebe zum Pfarrer oder weil sich das eben so gehört, ist vermutlich wieder einmal etwas ganz typisch österreichisches.

Über die Autorin, Eva

Eva Reisinger wuchs irgendwo im Nirgendwo in Oberösterreich auf. Sie war Österreichkorrespondentin für das junge Magazin des ZEIT-Verlags, kann einen Doppelliter Bier anschreien und am 14. Jänner erschien ihr erstes Buch „Was geht, Österreich?“. Sie lebt als freie Autorin in Wien.