Hinter den Bergen: Warum die Nachbar*innen am Land so wichtig sind

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Die Menschen nebenan können dein Leben bereichern oder es zur Hölle machen. In dieser Kolumne erzähle ich von heimlich gefällten Bäumen, zu niedrigen Zäunen und warum die Beziehung zu den Nachbar*innen am Land trotzdem heilig ist.

Ende September im Jahr 1992 parkte der Nachbar seinen Traktor auf der Einfahrt, lief noch in seinen Gummistiefeln in das Haus hinein. Im Wohnzimmer angelangt, schrie er, dass er dagegen sei, dass es nun noch eine Reisinger in dieser Familie gäbe. Mein Vater antwortete, dass es für diesen Einwand zu spät sei, denn seine Tochter sei letzte Nacht geboren worden.

© BAM! | Marietta Dang

Über den Schweinestall und andere Streitigkeiten 

Derartige Geschichten von Nachbar*innen begleiten mich also wortwörtlich seit meiner Geburt. Die Beziehung zu den Nachbar*innen am Land ist essentiell und deswegen auch nicht immer einfach. Meine Familie stand beispielsweise im Klinsch mit dem Bauern daneben, der direkt neben unser Haus einen Schweinestall bauen wollte. Wir waren logischerweise dagegen und bekamen dafür regelmäßig Beleidigungen vom Traktor runtergerufen.

Grundsätzlich ist die Nachbar*innenschaft am Land ja etwas Heiliges – und wird fast so verehrt wie die Mutter Maria. Denn die Beziehung zu den Menschen nebenan muss stimmen. Dafür ist man bereit einiges in Kauf zu nehmen. Denn wenn es mit den Nachbar*innen kracht, wird es schnell ziemlich unangenehm.

Was macht also die Beziehung aus?

Und warum braucht man unbedingt ein gutes Verhältnis zu den Leuten nebenan?

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Beginnen wir vielleicht erst einmal mit den schönen Seiten. Wer am Land aufwächst weiß, dass die ersten Freund*innenschaften nicht unbedingt entstehen, weil man so super zusammenpasst, sondern weil man eben nebeneinander wohnt. Diese Beziehungen halten manchmal ein Leben lang. Auch wenn man niemals befreundet gewesen wäre, wenn es nicht die geografische Nähe gäbe.

Viele meiner schönsten Erinnerungen der Kindheit teile ich etwa mit den Jungs aus dem Dorf. Wie wir stundenlang in Gummistiefeln durch den kleinen Bach wateten. Nach Schlangen und Ratten suchten und dann schreiend davon liefen, wenn wir tatsächlich mal eine gefunden haben. In den Sommerferien verbrachten wir sowieso jeden Tag zusammen, verabschiedeten uns meistens gleich für den ganzen Tag von unseren Familien und zogen uns zu irgendwelchen Spielen, die wir uns ausgedacht hatten, in den Wald oder zum Bach zurück.

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Nachbarn fürs Leben, oder so 

Mit dem Alter tauschten wir die Natur dann gegen die Garage und den Keller ein und verbrachten sehr viel Zeit mit Vorglühen und Partys. Wer eine gute Beziehung zu den Nachbar*innen hat, bekommt von ihnen auch alles. Von der Grillkohle, die plötzlich einfach aus ist, bis hin zur Druckerpatrone, hilft man sich gegenseitig durch die kleinen und großen Lebenskrisen und ruft nicht die Polizei, wenn es mal wieder zu laut wird. Auch wenn beispielsweise jemand krank wird oder stirbt, sind alle zur Stelle.

Am Land spaziert ständig jemand unangekündigt, durch deinen Garten, deine Tür und so wird es wirklich schwer, einsam zu sein.

Neben all den positiven Seiten gibt es natürlich auch die Herausforderungen des Zusammenlebens. Streitpotenzial gibt es mehr als genug. Ein wunderbares Beispiel hierfür ist der Zaun. Was man zwischen den Grundstücken aufstellt, sagt sehr viel über die Beziehung aus. Gibt es ein Verbindungstor für die Kinder zum Durchschlüpfen, versteht man sich. Baut man eine zwei Meter hohe Steinwand, wahrscheinlich eher nicht.

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Und allein das Thema Zaun kann das Verhältnis zueinander schon auf die Probe stellen. Es gilt Fragen zu klären wie: Wer baut den Zaun, wer pflegt den Zaun und wer zahlt den Zaun? Und selbst wer seine Nachbar*innen jetzt nicht unbedingt mag, kann nicht einfach so den Zaun seiner oder ihrer Träume aufstellen. Denn ein weiteres sehr wichtiges Charakteristika des Zusammenlebens ist, dass man sehr lange so tut, als würde eh alles passen.

Darum kann man leider keinen großen Holzzaun aufstellen, obwohl man den Hund des Nachbarns insgeheim hasst oder weil der sonntags gerne Schlager hört oder weil einen das Windspiel unter dem Apfelbaum noch zur Weißglut treibt. Aber nein, es darf nur ein kleiner Maschendrahtzaun in der Mitte sein, denn man versteht sich ja eh. Es passt ja eigentlich eh alles.

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Darum verzeiht man sich sogar strafrechtlich relevante Vergehen. Wie etwa wenn der Nachbar nachts heimlich deinen Birnbaum fällt und er einfach weg ist. Was tun, die Polizei rufen? Natürlich nicht. Man schweigt auch, wenn jemand Birken direkt an den Zaun setzt, obwohl man allergisch ist. Das alles ist man bereit auszuhalten. Weil man wohnt ja nebeneinander.

Weil Nachbar*innenschaft ist ja wichtig. Nur eben beim Schweinestall ist irgendwann die Grenze erreicht.

Über die Autorin, Eva

Eva Reisinger wuchs irgendwo im Nirgendwo in Oberösterreich auf. Sie war Österreichkorrespondentin für das junge Magazin des ZEIT-Verlags, kann einen Doppelliter Bier anschreien und am 14. Jänner erschien ihr erstes Buch „Was geht, Österreich?“. Sie lebt als freie Autorin in Wien.