Hinter den Bergen: Wir sind nicht per Du!

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Sind wir hier per Du? Ich grüße dich!
Doch per Sie? Ich grüße Sie!
Oder per Vornamen und trotzdem siezend? Ich grüße Sie, Max!

Wer darf das entscheiden? Und wer nicht? Klar, hier bei uns legt das die Redaktion fest und ich darf dich duzen. Österreich scheint aber an der antiquierten Verhaltensregel des Siezens mit aller Kraft anzuhalten. Für mich gilt die Liebe der Österreicher*innen zum Siezen als eines der typischen Charakteristika des Landes. Während sich im Englischen das ganze mit der Ansprache you selbst erledigt und sich im deutschsprachigen Raum immer stärker eine Du-Welle ausbreitet, ist per Sie zu sein bei uns immer noch sehr, sehr wichtig. 

Knigge für Anfänger*innen 

Aber beginnen wir ganz am Anfang der Knigge. Wer siezt sich überhaupt? Laut Knigge haben alle volljährigen Personen ein Recht gesiezt zu werden. Der Duden rät allen, die sich im Job unsicher sind, wie man sich anspricht, das Sie. Grundsätzlich bestimmt der Rang der betrieblichen Hierarchie, wer wem das Du anbieten darf. Es wird also von oben nach unten angeboten.

Im privaten Umfeld gilt meist das Alter als eine Art Hierarchie. So beschließt die ältere Person, ob man sich nun siezt oder nicht. Wirst du von ihr mit „Sie” angesprochen, duzt du keinesfalls zurück. Und selbst wenn die ältere Person duzt, solltest du das nicht automatisch auch tun. Du findest diese ganzen Etikett-Regeln ganz schön kompliziert? Damit bist du nicht allein.

Lass’ uns dazu ein kurzes Gedankenspiel machen. Angenommen du triffst den österreichischen Bundespräsidenten zufällig im Aufzug. Er ist am Weg mit Juli Gassi zu gehen. Würdest du ihn siezen? Natürlich. Vermutlich würdest du ihn auch dementsprechend respektvoll grüßen und kein „Alexander, Servaaassss!“ rufen. Bei Personen mit öffentlichen Ämtern ist das nur logisch. Wie bei Politiker*innen, Richter*innen, Polizist*innen oder der Queen. Komplizierter wird es bei Menschen ohne Ämtern. 

Wie sprichst du den vielleicht viel jüngeren Social-Media-Beauftragten des Bundespräsidenten an? Auch hier werden sich die meisten auf Siezen einigen. Was ist aber mit der Fahrradkurierin, die dir abends dein Pad Thai nach Hause bringt, während du einen Artikel über dein zufälliges Treffen mit dem Bundespräsidenten schreibst? Duzt du sie? Und warum wäre das eher okay, obwohl du auch sie nicht persönlich kennst?

„Ich wüsste nicht, seit wann wir per Du wären”

Jemanden unangeboten zu duzen, gleicht für so einige Menschen in Österreich einer Grenzüberschreitung. Als würde man einen Gast in der Wohnung, in der Unterhosenlade wühlend, vorfinden. Nimmt sich jemand das Duzen einfach heraus, reagieren sie mit einem Angriff und antworten: „Wir sind nicht per du!“ Oder: „Ich wüsste nicht, seit wann wir per Du wären“. Damit ist die Chance auf ein Du in der Zukunft in weite Entfernung gerutscht. Kaum noch zu sehen. Ciao! Das war’s! Für immer per Sie. 

Hat man sich mal das Du angeboten, ist es meist eine Einbahnstraße. Vielleicht sogar eine Sackgasse. Denn einmal angenommen, gibt es eigentlich keinen Weg mehr zurück. Und siezt man sich dann doch versehentlich noch einmal, obwohl man beim vergangenen Gespräch schon beim Du war, ist es entweder eine wahnsinnig peinliche Situation oder ein bewusster Angriff. Ein falscher Satz, dir wurde das Du wieder entzogen und die Mauer wird aufgebaut. 

Hierarchien bröckeln, aber das Sie nicht 

Während das Internet täglich unsere Sprache verändert und sich Firmen entscheiden, alle Kund*innen zu duzen, wirkt das Siezen ganz schön verstaubt. Kuriose Lösungen, die das Sie aufrechterhalten, die ganze Sache aber irgendwie vereinfachen sollen (es jedoch nicht tun), gibt es einige. Auf einer Infoseite der Uni Wien finden sich zum Beispiel Mischformen, die es Lehrenden vereinfachen sollen, den richtigen Ton mit Studierenden zu finden. Demnach gebe es auch ein Arbeits-Du, ein auf die Zeit der Lehrveranstaltung begrenztes Du, das mit dem Ende der Einheit erlischt. Oder ein sogenanntes „Hamburger-Sie”, welches erlaubt, einander mit Vornamen anzusprechen, aber weiterhin zu siezen. 

Man könnte nun anmerken, siezen ist höflich und verschafft Respekt. Beobachtest du das Siezen aber im Alltag in Österreich, wird schnell klar, dass es nicht nur darum gehen kann. „Sie Depp Sie, gehen Sie mir aus dem Weg!“ Oder aber: „Sie können mich mal kreuzweise, gehen Sie sch**ßen!“ Allein die zahlreichen Beschimpfungen in Sie-Form zeigen uns, dass etwas anderes auch noch dahinter stecken muss. 

Siezen baut Distanz zwischen Menschen auf und dieses Land liebt es bekanntlich, sich zu distanzieren. Siezen geht Hand in Hand mit der Einstellung: Es gibt kein Wir. Zwischen mir und Ihnen, da liegen nun wirklich Welten. Außerdem wurde in Österreich schon immer gesiezt. Und was schon immer so war, soll auch so bleiben. Jetzt verändert sich die Welt jeden Tag, da müssen nicht wir uns auch noch anders ansprechen. 

Darum werden in Österreich heißgeliebte Titel wie Frau Doktor oder Herr Hofrat immer und überall ausgesprochen. Und darum grüßen wir vermutlich hier auch immer noch den lieben Gott. Aber das ist nochmal ein ganz anderes Thema…

Bei all den bröckelnden Hierarchien in Firmen und Büros und der wachsenden Kommunikation im Internet macht das Siezen im Alltag aber immer weniger Sinn. Trotzdem braucht es den Moment, in dem jemand vorschlägt, nun per Du zu sein. In der Zwischenzeit geistern wir zwischen komplizierten Satzkonstruktionen herum, um eine direkte Ansprache ja zu vermeiden, sagen Sätze wie: „Passt … äh telefonieren morgen um 12?“ Oder: „Freue mich … äh auf baldiges Kennenlernen!” 

Eigentlich haben wir das ganze Gehabe ja selbst in der Hand. Ich will in der Zukunft nun öfter anderen das Du anbieten, weil sich Siezen für mich meistens sehr komisch anfühlt. Wobei Siezen auch ganz schön befriedigend sein kann. Zum Beispiel wenn dich jemand beim Fortgehen im Club fragt: „Darf ich Sie auf ein Bier einladen?“ Hell yes, endlich etwas Respekt. Darauf habe ich gewartet.

 

Über die Autorin, Eva

Eva Reisinger wuchs irgendwo im Nirgendwo in Oberösterreich auf. Sie war Österreichkorrespondentin für das junge Magazin des ZEIT-Verlags, kann einen Doppelliter Bier anschreien und am 14. Jänner erschien ihr erstes Buch „Was geht, Österreich?“. Sie lebt als freie Autorin in Wien.