Sprachgewitter: Wann es besonders schwer ist, Körperneutralität zu leben

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„Have a body. Period.“ Diesen Satz habe ich mir zurecht gelegt, um mich stets daran zu erinnern, was ich mir hart erarbeitete: einen neutralen Umgang mit meinem Körper. Körperneutralität ist in meinen Augen so etwas wie das nächste Level von Bodypositivity

 

Eine Bewegung, die vor allem in den letzten Jahren auf Social Media eine Renaissance erlebt hat. Körperneutralität zu verinnerlichen, bedeutet, dass man versucht, den eigenen Körper von der ständigen Bewertung zu befreien und ihn auf seine Funktionalität reduziert. Ich versuche zum Beispiel, mir zu überlegen, ob es wirklich wichtig ist, dass ich gut aussehe, oder ob es reicht, wenn ich kompetent, gut gelaunt oder neugierig in eine Situation gehe.

Das führt dazu, dass man freier und sanfter im Umgang mit sich selbst wird. Nachdem ich meine innere Haltung und Entwicklung zu meinem Körper laufend auch in meiner öffentlichen Präsenz vermittle, werde ich oft gefragt, ob das wirklich so einfach geht.

Körperneutral im Alltag

 

Die Wahrheit ist: natürlich nicht. Ich bin nicht frei von Normen und Standards aufgewachsen und würde behaupten, dass die Schönheitsindustrie einen großen Eindruck hinterlassen hat. Als mehrgewichtige Frau wurde mir früh vermittelt, dass mein Körper nicht erwünscht in der Mode und mein Erscheinungsbild unattraktiv ist. 

 

Es wird anhand meiner Körperform über meine Gesundheit geurteilt und Vorurteile wie Faulheit oder Trägheit manifestiert. Ob ich mich völlig frei von einem Idealbild gerne modisch kleide und spielerisch mit Make Up experimentiere, meine Haare färbe und zur Maniküre gehe, weil es mir Spaß macht, kann ich nicht zu 100% behaupten. Aber zu 80%. 

© BAM! | Johanna

Denn an manchen Tagen ist es für mich trotz jeder Reflexion schwer, mich selbst auszuhalten und mehr noch: mich zu betrachten. Dann fühle ich mich in jedem Kleidungsstück unwohl, dünnhäutig und möchte mich am liebsten keinen fremden Blicken aussetzen. Für Menschen mit Uterus und einem Zyklus kann das auch hormonell bedingt sein. An dieser Stelle ein kleiner Tipp, den eigenen Zyklus zu tracken und zu beobachten, wie sich die Stimmungen und die eigene Wahrnehmung im Laufe der Zyklusphasen verändern.

Übungsräume finden 

 

Zu einem neutralen Körpergefühl stehen zu können, hängt auch mit der Umgebung zusammen. So kann es einfacher sein, sich zwischen Freund*innen oder Familie wohler und gelassener verhalten zu können, als bei einem Date oder einem wichtigen Event. Das birgt auch eine Chance, denn gerade in Safe Spaces können wir üben, uns nicht ständig an unserem Aussehen zu messen. 

 

Deswegen ist der Weg zu Körperneutralität kein linearer, der ähnlich wie in einem Computerspiel Level für Level freisetzt und alte Denkmuster hinter sich lässt, sondern bedarf immer wieder Übung und Bewusstsein.

Mein Körper hat sich in den vergangenen zehn Jahren oft stark verändert. Gesundheitliche Umstände, psychische Erkrankungen und Belastungen oder schlicht und ergreifend Faktoren wie Stress und hohem Druck hatten einen Einfluss darauf, wie ich aussah. 

 

Während ich in Phasen, in denen ich merklich an Gewicht verlor, oft Lob bekam, wurde ich in Phasen der Gewichtszunahme eher mitleidig beäugt. Dann ist es besonders schwer, sich davon zu befreien. 

 

Als Mensch sind wir in unserer Grundstruktur von sozialem Miteinander abhängig, sprich, wir können gar nicht anders, als uns Reaktionen und Meinung anderer zu Herzen zu nehmen. Das nennt man auch Soziales Lernen. Unser Wesen ist darauf ausgelegt, unser Verhalten durch Bestätigung und Ablehnung anderer anzupassen, um in einer Gesellschaft akzeptiert zu werden. Dass die Gesellschaft an sich aber womöglich verquere Vorstellungen davon hat, was belohnt und was abgelehnt werden soll, steht auf einem anderen Blatt.

© BAM! | Johanna

Eine Brücke

 

Umso wichtiger ist es, im Laufe der Jahre eine Möglichkeit zu finden, Meinungen und Kommentare über sich selbst zu sortieren und in Relation zu setzen. Zwar würden wir alle in einer besseren Welt leben, würden wir generell aufhören, die Körper anderer Menschen zu kommentieren, doch da sind wir leider noch lange nicht angekommen. Daher versuche ich mir folgende Fragen zu stellen, wenn mich ein Kommentar einer Person über mein Aussehen verunsichert:

 

  • In welchem Verhältnis steht die Person zu mir, die gerade meinen Körper kommentiert? 
  • Steckt dahinter mehr, zum Beispiel eine Sorge?
  • Ist es wichtig, dass ich in den Augen dieser Person “gut” aussehe? (Diese Frage sollte immer mit Nein beantwortet werden.)

In den letzten Wochen habe ich oft mit mir und meinem Körper gehadert. Das hat unterschiedliche Gründe, aber einer davon ist sicherlich, dass mir wieder eine Veränderung meines Körpers merklich geworden ist. Nach einem Jahr, in dem es mir oft nicht gut ging, habe ich wieder eine Balance gefunden und begonnen, regelmäßig zu essen und auf mich zu achten. Das hat zwangsläufig dazu geführt, dass mir Kleidungsstücke, die ich vor einem Jahr an einem Tiefpunkt gekauft hatte, nicht mehr passen. 

 

Jedes Mal, wenn ich mich mit diesem Frust in den letzten Wochen konfrontiert sah, beschloss ich, mich selbst zu ermahnen: Wäre ich auch so streng, wenn mir ein Schuh nicht passen würde? Würde ich auch Schuldgefühle haben, wenn ich einen anderen Gebrauchsgegenstand austauschen müsste? Vermutlich nicht.

 

Es ist nicht unser Zweck in diesem Leben, möglichst attraktiv und ansehnlich zu wirken. Das muss über all den Dingen stehen, an denen wir zweifeln. Im Idealfall macht uns die Gestaltung unseres Aussehens Freude und ermöglicht eine weitere Ausdrucksform unserer Persönlichkeit. Trotzdem ist nichts schwarz oder weiß. Eine neutrale Haltung zu Aussehen und Körper kann auch immer nur ein Ziel sein, das man immer wieder anvisiert, um sich daran zu erinnern.

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Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.