Sprachgewitter: Warum Sport exklusiv ist und wie ich als dicke Frau trotzdem sportlich wurde

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„Du bist eben nicht sportlich.“ Das ist eine Erzählung, die mir lange glaubhaft gemacht wurde. Der Ursprung meiner Abneigung zum Sport liegt in meiner Kindheit. Um mit den anderen Kindern mitzuhalten, ging ich oft an und über meine Grenzen. Ich war ein dickes Kind und deswegen bereitete mir der Sportunterricht Schmerzen und war im Gesamten stets ein negatives Erlebnis. 

Meine Lehrer*innen nahmen keine Rücksicht auf die unterschiedlichen Fähigkeiten und körperlichen Voraussetzungen – wer nicht im selben Maß mithalten konnte, war faul und schlecht. Es gab ein klares Bild davon, wie eine Person aussieht, die Sport machen kann. Und ein klares Bild davon, wie eine Person aussieht, die Sport machen soll: ich. 

Viele kennen es: Unangenehme Erinnerungen bis hin zu Traumata, die mit dem Sportunterricht verbunden sind. Als dicke Person war das in meiner Jugend ein einziger Spießrutenlauf. Ich wurde nicht nur zuletzt in die Teams gewählt, es erklang ein lautes Raunen, sobald ich übrigblieb und einer Mannschaft zugewiesen wurde.

© BAM! | Marietta Dang

Seitdem ist Sport mein Triggerwort

Mich körperlich zu betätigen bedeutete für mich die längste Zeit nicht eine Form von „auspowern“ oder „frei machen“, es war das, was mich von einem angesehenen Körper trennte, die unüberwindbare Barriere zu Teilhabe und Wertschätzung. Nicht selten versuchte ich, mich sportlichen Aktivitäten anzunähern. So weit, dass ich erbrechen musste. Immer wieder brach ich Kurse und Klassen ab, aus Scham und fehlender Disziplin. Denn Disziplin wird in Sportkreisen ganz großgeschrieben. Es ist die Währung, die deinen Wert festlegt. Wer Biss hat, erntet Applaus. 

Was ist Disziplin?

Rückblickend betrachtet, halte ich mich für einen äußerst disziplinierten Menschen. Während meines Studiums jonglierte ich zwei Jobs und lernte für Prüfungen, stand auf eigenen Beinen und trug Verantwortung. Ohne Disziplin und Organisation wäre das nicht möglich gewesen. 

Doch auch in meiner Studienzeit kam ich nicht um das Thema Sport herum. Meine Studienkolleg*innen belegten Yogakurse und gingen Laufen. Vielen war es wichtig, sich fit zu halten und zu zeigen, dass sie ihren Körper fordern konnten. Ich hingegen kam Anfang 20 an den Punkt, an dem ich mir eingestand: Ich habe viele Talente, aber eine Sportart zu verfolgen zählt nicht dazu. Ich habe versucht, mich auf meine Fähigkeiten zu konzentrieren, statt die Aufmerksamkeit den Dingen zu widmen, die mir schwer fielen.

© BAM! | Marietta Dang

Entgegen meiner Hoffnung nahm der Trend um Fitness und Gesundheit nicht ab. Es gehörte einfach zum Alltag, zum guten Ton. Heutzutage ist Gesundheit gleichgesetzt mit Schönheit. Promis, Stars und Influencer*innen machen es vor: drei bis vier Mal die Woche ein Workout gehört dazu. Diesen Eindruck könnte man bekommen, wenn man durch Social Media scrollt. 

Das ließ auch mich nicht unberührt, tut es teilweise heute immer noch nicht. Die Märchen um einen bestimmten sportlichen Körper verfolgen mich. Während eines Lockdowns fasste ich vergangenes Jahr nochmal all meinen Mut zusammen. Ich kontaktierte eine Personaltrainerin und vereinbarte eine Schnupperstunde. 

Ich traf zum ersten Mal in meinem Leben eine Person, die mich nicht ansah und sagte, was alles falsch an meinem Körper sei und wie viel Disziplin und Regelmäßigkeit er brauchen würde, um “richtig” zu werden. Ich traf eine Person, die beeindruckt war, wie schnell ich Bewegungsabläufe umsetzen konnte, was alles in mir schon da war und die mich für den Ist-Stand wertschätzte.

Ab wann ist jemand sportlich?

Ich begann Kraftsport zu machen. Plötzlich öffnete sich eine Tür zu einer Welt, die mir bis dahin verschlossen blieb. Nämlich Freude an Fortschritten, Ehrgeiz und Neugier, Grenzen auszuloten und Veränderungen wahrzunehmen. Im Umfeld meiner Trainerin fühlte ich mich sicher und fähig. Schon nach wenigen Monaten stemmte ich die Hälfte meines Körpergewichtes und es erfüllte mich mit Stolz. 

Wenn mich heute jemand fragt, sage ich: “Klar bin ich sportlich!”. Ich bin sportlich, obwohl ich manchmal scheitere, zwischendurch wieder aufgebe und neu beginnen muss. Ich bin sportlich, wenn ich von einer durchtanzten Nacht verschwitzt, den Heimweg antrete oder auf einem Konzert drei Songs durchhüpfe. Ich bin sportlich, wenn ich zu einem Termin zu Fuß laufe oder am Wochenende durch ein Gebirge wandere. 

Sportlich zu sein bedeutet einen Körper zu haben, den man in irgendeiner Form in Bewegung bringt, zu dem man eine Verbindung aufbaut und ihn mit all seinen Fähigkeiten und Grenzen oder Einschränkungen wahrnimmt. Sport bedeutet, sich zu befähigen und Selbstbestimmung zu erlangen. 

Aus meiner Geschichte habe ich gelernt, dass zu allermeist das Umfeld und die Personen, die mir etwas beibringen, wesentlich sind. Es braucht unmittelbare Vorbilder wie Queer Muscle oder Elly Magpie, es braucht prominente Beispiele wie Lizzo oder eine Nike Kampagne, die Größeninklusive Sportkleidung entwirft

All diese Pionier*innen brauchen wir, um unsere Sehgewohnheiten zu ändern und einen Kontrast zum einheitlichen Bild eines sportlichen Menschens einzuführen. Wir müssen Bewegung und Betätigung, wie so Vieles, von dem Leistungsgedanken lösen und öffnen. Zum Beispiel um ein besseres Körpergefühl zu bekommen oder einen Ausgleich zu psychischer Belastung zu finden. Für dicke Menschen, für behinderte Menschen, für queere Menschen – für alle.

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Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.