Du musst dich nicht lieben: Wieso Wertschätzung und nicht Liebe unser Ziel sein sollte

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Du magst keine Montage oder bist unzufrieden mit deinem Körper? Dann lerne dich selbst zu lieben. Du bist unglücklicher Single? Naja, wenn du dich selbst nicht liebst, wie soll dich dann jemand anders lieben? Selbstliebe ist, vor allem in den sozialen Netzwerken, in letzter Zeit zum vermeintlichen Allheilmittel geworden. Für die meisten von uns ist diese Liebe, von der gesprochen wird, jedoch ein unerreichbares Ziel. Wieso sprechen wir daher nicht von Selbstwertschätzung, Selbstachtung und Selbstakzeptanz, wenn dies doch eigentlich ein viel schöneres (und vor allem realistischeres) Ziel wäre? Genau das möchte ich nun tun!

Was genau bedeutet Selbstliebe?

Laut Wikipedia ist Selbstliebe „die allumfassende Annahme seiner selbst in Form einer uneingeschränkten Liebe zu sich selbst“. WOW. Schon beim Lesen dieser Definition fühle ich mich unter Druck gesetzt. Allumfassende Annahme und uneingeschränkte Liebe – eine ziemliche Mammutaufgabe. Und genau hier stoßen wir auf das Problem, das ich vor allem in den letzten Wochen mit dem Begriff Selbstliebe entwickelt habe. Der Begriff Liebe. Ein Gefühl, das so groß, so unvergleichlich und oftmals auch so unerreichbar scheint. Und dieses Gefühl soll ich mir uneingeschränkt selbst gegenüber bringen?

@ Kerstin Kögler

Selbstliebe auf Instagram: Zwischen Selbstinszenierung und nützlichen Tipps

Doch was passiert, wenn wir ein so großes Gefühl wie Liebe zum Must-Have einer ganzen Generation machen? Wir kreieren ein Monster. Und genauso unerreichbar wie die alltäglich romantische und vollkommene Liebe, die uns Disney-Romanzen vorspielen, so unerreichbar und unrealistisch ist auch die Idee von vollkommener und uneingeschränkter Liebe für sich selbst.

Selbstliebe wurde zum Trend. Scrollt man durch #Selbstliebe auf Instagram, findet man vor allem eines – eine Menge Selbstinszenierung. Normschöne Frauen, die unter ihren Bildern davon erzählen, wie sie gelernt haben, sich selbst zu lieben. Ich möchte mich selbst davon auch nicht ausnehmen. Auch ich schreibe auf meinem Instagram-Account über den Weg zu mehr Selbstliebe. In den vergangenen Wochen bereitete mir aber genau das immer wieder Kopfschmerzen. Wie kann ich über Selbstliebe sprechen, wenn auch ich mich nicht in jeder Position mag? Wenn auch ich an manchen Tagen nicht gerne in den Spiegel schaue, mich über meine Taten und Worte ärgere?

Paradoxer Hype: Selbstliebe und Instagram – passt das überhaupt zusammen? 

Es ist kaum verwunderlich, dass genau Instagram zum Hot-Spot für Selbstliebe-Tipps geworden ist. Die Plattform, die so oft dafür kritisiert wird, ein oberflächliches und rein kapitalistisch motiviertes Bild zu vermitteln, ist der perfekte Nährboden für eine Bewegung, die zwar positiv motiviert, in der Realität jedoch ziemlich erdrückend ist.

@ Kerstin Kögler

Anstatt uns von den Erwartungen anderer zu befreien, setzen wir uns nämlich neue Grenzen. Wir vergleichen uns mit anderen. Wir üben Druck auf uns aus und erwarten etwas zu sein, das ziemlich unerreichbar ist. Statt dem teuren Auto, der Designertasche oder der perfekten Beziehung, bewundern wir jetzt das Mindset anderer. Die Positivität. Die Liebe zu sich selbst. Genau hier liegt jedoch die Krux. Wenn wir unser Glück und unsere Zufriedenheit an ein Gefühl knüpfen, das schier unerreichbar ist, dann befreien wir uns damit nicht von den Zwängen der Gesellschaft, sondern wir unterwerfen uns ihr noch mehr.

@ Kerstin Kögler

Du musst dich nicht lieben: Tipps für mehr Selbstwertschätzung

Ich denke, anstatt von Selbstliebe zu sprechen, sollten wir eine gesunde Selbstwertschätzung und Akzeptanz kultivieren. Lernen, mit uns selbst so umzugehen, wie wir das auch mit unserer*m besten Freund*in tun würden. Liebevoll zu uns selbst sein. Unseren eigenen Weg gehen. Der Selbstliebe-Trend ist in seinem Kern unfassbar wertvoll, positiv zu betrachten und heilend. Es bedarf aber viel Fingerspitzengefühl, um keine falschen Erwartungen an sich selbst zu schüren. Der Grat zwischen Selbstliebe und -wertschätzung ist ein schmaler.

Diese kleinen, feinen Unterschiede nehmen uns den Druck und erlauben uns unperfekt perfekt zu sein:

1. Du darfst dich auch mal schlecht fühlen

Lass all deine Gefühle zu, ohne diese zu bewerten. Du musst dich nicht lieben, aber auf alle Fälle akzeptieren.

 

2. Vergleiche dich nicht mit anderen

Nur weil Influencer*in X sich in jeglichen Posen toll findet, heißt das nicht, dass du es auch tun musst. Selbstliebe wird oft Synonym mit „ich mag mich auch in den schrecklichsten Posen“ verwendet. Selbstwertschätzung bedeutet, sich in diesen Posen nicht abzuwerten. Du musst sie aber nicht toll finden. Du musst sie auch nicht teilen.

@ Kerstin Kögler

3. Sprich mit dir selbst, wie du es auch mit deiner besten Freundin oder deinem besten Freund würdest

Die würdest du schließlich auch mal zurechtweisen – aber eben wertschätzend und liebevoll.  

 

4. Achte auf deine Gedanken

Übe dich in Dankbarkeit. Sei stolz auf dich. Lobe dich auch mal selbst. Mache Selbstwertschätzung und -akzeptanz zu deinen Leitsätzen.

@ Kerstin Kögler

Selbstliebe scheint so präsent und doch so unerreichbar. Du musst dich nicht allumfassend und uneingeschränkt lieben. Es ist okay, wenn du ab und zu aufwachst und dich einfach nicht magst. Du musst dir nicht zusätzlichen Druck aufbauen, indem du einem Ideal hinterherrennst, das niemand jemals erreichen wird. 

Solltest du in Zukunft also über einen Post über Selbstliebe stolpern, dann versuche mental das Wort “Liebe” doch einfach mit “Wertschätzung” auszutauschen und dir wird die Idee gleich um einiges erreichbarer und realistischer erscheinen. 

Über Kerstin

Kerstin ist Yogalehrerin, Bloggerin und ziemlich oft ein wandelndes Millennial-Klischee. Auf ihrem Instagram-Account und Blog @kerstinloves spricht sie über (mentale) Gesundheit, Achtsamkeit, Selbstwertschätzung und ihr Leben zwischen Büchern, Kaffee und Yogamatten.