Solo-Roadtripping: Was macht das mit mir, wenn ich alleine Europa bereise?

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Wie oft hab ichs schon gehört oder gelesen: „Verbring mal ganz viel Zeit für dich, dann wirst du schon erkennen, wer du wirklich bist.“ oder „Auf einem Solo-Roadtrip erfährst du alles über dich“. Es scheint, als würden Allein-Sein und Allein-Reisen der heilige Gral zur Selbstfindung sein. Classic me, neugierig wie eh und je, sagt dazu nur: Challenge accepted!

Nach einem Jahr Vorbereitung war ich ready, den Antworten dieser Aussagen auf den Grund zu gehen. Ob ich mich auf/nach meinem Solo-Roadtrip tatsächlich selbst gefunden hab und was meine Identitätsfindung mit Kaffee und Wildpferden zu tun hat? Keep reading.

 

Dass Urlaub wie Balsam für die Seele, den Körper und den Verstand wirkt, ist kein Geheimnis. Aber von der klassischen zwei bis fünf Wochen Auszeit, die jedem*r Angestellten zusteht, hatte ich die Schnauze voll. Ich wollte mehr Zeit, mehr Flexibilität und vor allem mehr Freiheiten. Also beschloss ich, so gut ich nur konnte, zu sparen, um mir eine Auszeit ohne Ablaufdatum zu gönnen. Um mich selbst zu finden und mir essenzielle Fragen wie etwa „Wer zur Hölle bin ich eigentlich?“ oder „Was will ich vom Leben?“ zu beantworten. 

Mit Stolpersteinen in einen neuen Lebensabschnitt rollen

Was mit einer Idee, einem Vision-Board voller Pinterest-Bildern und Zitaten von meinem Lieblingsautor Erich Fromm begann, entwickelte sich innerhalb von 12 Monaten intensiver Vorbereitungszeit zur noch nie dagewesenen Realität. 

© Christina Eckersdorfer

Wait, das klingt ein bisschen zu einfach. Ich formuliere es anders: Ich arbeitete mir Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat meinen süßen A* ab, holte mir chronische Rückenschmerzen, kämpfte mich durch unzählige „ich sch* gleich drauf Momente“ und verzichtete auf Partys, Essengehen, Kaffeetrinken und Kinobesuche. 

Diese Einschränkungen waren unleiwand, aber notwendig, denn ich sparte mehr Geld als je zuvor und schaffte es, nach etwa elf Monaten meine Mietwohnung und meine Jobs zu kündigen, um mit meinen sieben Sachen (viel mehr waren es wirklich nicht) in einen alten VW Bus zu ziehen, den ich zusammen mit einem Tischler zu einem kompakten, aber gemütlichen Zuhause auf Rädern umbaute. Innerhalb dieses Vorbereitungsjahres hatte ich einen Leitsatz, und zwar: Der Weg ist das Ziel (ur abgedroschen, I know, aber mir hats geholfen durchzuhalten).

© Romy

Freiheit, Ungebundenheit, Alleinsein – ähm, und jetzt?

Mein neues Leben gestaltete sich fessellos. Ich nahm mir vor, durch Österreich, Italien, Frankreich, Spanien und Portugal zu reisen und hatte so viel Zeit für mich selbst, wie noch nie zuvor. Endlich war da die Gelegenheit, mich selbst besser zu verstehen und zu finden. Mitunter wollte ich ja auch die Antwort auf „Wer zur Hölle bin ich eigentlich?“ finden.

Well, well, well… wenn da nicht der innere Schweinehund aka die gute alte Selbstsabotage wäre.

Eines muss ich ja sagen: Ich war mutig, alleine auf Reisen zu fahren. ABER ich war nicht so mutig, wenn es um die Auseinandersetzung mit mir selbst ging. Warum? Nun, jetzt weiß ich, dass ich einfach Angst hatte. Ich hatte Angst, mich mit mir selbst auseinander zu setzen, denn ich wusste, dass es da so einige Dinge gab, die ich bis dato verdrängt hatte oder an mir bzw. an meiner Persönlichkeit schlicht und einfach nicht leiden konnte. Also tat ich, was man in solchen Situationen eben so tut: Ich lenkte mich ab. Und das fiel mir, auf Reisen in unbekannten Ländern, natürlich nicht besonders schwer. 

© Christina Eckersdorfer

Dieses „erfolgreiche“, mich selbst ignorierende Ablenkungsmanöver hielt aber nur die ersten drei Monate meiner Reise an. Durch einen glücklichen Zufall erkannte ich, was jetzt und in Zukunft wirklich wichtig war.

Mein Aha-Moment mit Wildpferden und Kaffee

(Die wohl weirdeste Überschrift seit es Überschriften gibt.)

Anyway. Meinen 27. Geburtstag verbrachte ich in Tarifa, dem südlichsten Punkt Europas und Hotspot für fesche Kitesurfer*innen. An jenem Morgen wachte ich auf dem von mir am Vorabend ausgesuchten Stellplatz in meinem Van auf. Der Platz – es war ein kleiner Berg, der einen grandiosen Ausblick aufs Meer und ganz Tarifa bot – war menschenleer. Außer mir und meinem Zuhause auf Rädern war da niemand. Dachte ich.

 

© Romy

Als ich gerade am Kaffeekochen und Aussicht genießen war, trotteten wie aus heiterem Himmel mindestens zehn große und wunderschöne Wildpferde in meine Richtung. Im ersten Moment dachte ich „OMG, was jetzt?!“. Im zweiten Moment dann „Oh Ok. Geil. Mal sehen, was passiert.“

So kam es, dass ich meinen Morgenkaffee mit Wildpferden genoss. Wenn auch ein bisschen angespannt. Ein paar von diesen Wildpferden waren so neugierig, dass sie ihre riesigen Köpfe in meinen Van steckten, um an meinen Sachen zu schnuppern. Ein Pferd hatte sich selbst die Erlaubnis gegeben, mein Obst anzuknabbern, ein anderes Pferd kostete meinen Kaffee. (Hat ihm aber nicht geschmeckt!) Nachdem sie mich und mein Hab und Gut beschnuppert hatten und ich sie ausgiebig gestreichelt hatte, schlenderten sie nach und nach seelenruhig davon.

© Christina Eckersdorfer

Ab jetzt ist Schluss mit Ablenkungen, her mit dem Leben!

Diese ganze Situation war so spannend und außergewöhnlich, dass ich erst einige Zeit danach zum Nachdenken kam. Und mit dem Nachdenken kam der Aha-Moment. Ich konnte mir die Frage „Wer zur Hölle bin ich und was will ich vom Leben?“ endlich detaillierter denn je beantworten. 

 

Diese Wildpferd-Kaffee-Meeresblick-Situation entlarvte mein bisher unentdecktes Urvertrauen ins Leben. Und in mich selbst. Ich war in diesem Moment so glücklich, dass ich den Mut hatte, hier überhaupt herzukommen. Ich verstand, dass ich (konträr zu all dem, was mein innerer Schweinehund mir sagt) ein Mensch bin, der Vertrauen ins Leben hat und viel viel mehr solcher kuriosen Augenblicke erleben will.

Ab diesem Moment legte ich all meine antrainierten Ablenkungsmanöver zur Seite und fokussierte mich aufs wilde, schöne, abenteuerliche Leben. Ich beschloss sogar, auf Instagram und Co. zu verzichten. No more hashtags and filters needed.

Was macht das mit mir, wenn ich alleine Europa bereise?

Ich hab meinen Geburtstag mit Wildpferden verbracht, ein paar Tage mit einem lesbischen Pärchen in deren Luxusfinca gewohnt, den Winter auf den Kanarischen Inseln verbracht, die leckersten und weichsten Avocados gegessen, neue Freund*innen gefunden, bin die steilsten Bergstraßen entlang gefahren und habe hunderte traumhaft schöne Orte, Strände, Schlösser und Weingüter besucht. Ich habe aber auch viel geweint, mich oft einsam und als alleinreisende Frau manchmal verletzlich gefühlt. 

© Christina Eckersdorfer

Was das alles mit mir gemacht hat? 

Honestly, ich weiß nach wie vor nicht genau, wer ich bin, was ich will und wo ich in fünf Jahren leben möchte. Aber meine Solo-Reise hat mir gezeigt, dass es vollkommen okay ist, sich manchmal nicht mit sich selbst auseinander zu setzen.

Manchmal muss man eben auf den richtigen Zeitpunkt warten oder eben auf Wildpferde. Meine Reise hat mich ein ziemlich großes Stück näher an meine ganz persönlichen Antworten gebracht. Antworten, für die ich vielleicht noch ein paar Reisen alleine antreten muss. Bis dahin aber bleibt der Weg das Ziel.

Über Romy

Die freie Autorin aus Beverly Hietzing liebt charmante Altbauwohnungen, tauscht diese aber dennoch gegen wenige Quadratmeter auf vier Rädern ein. Menschenleere Platzerl an Seen sind ihr Zuhause, ein selbstgebauter Schreibtisch ihr Büro, Gelsen ihre Feinde und Kaffee ihr Frühstück. Manchmal auch Mittagessen. @rollingatelier