Sprachgewitter: Was Freundschaft leisten kann

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Wenn ich über Beziehungen nachdenke, schreibe, mich in ihnen bewege – dann sind es oft Freundschaften, die in mir viele Fragen, Gründe zu wundern oder weitreichende Erkenntnisse auslösen. Ich glaube, Freundschaften sind mitunter unterschätzt und in ihrer Bedeutung unterrepräsentiert, nicht zuletzt, weil wir sie zu oft für selbstverständlich halten. Aber was ist es, das eine Freundschaft leisten kann – oder gar muss? Wie eng ummanteln die Arme einer platonischen Liebe und an welcher Stufe hat man den Plafond erreicht?

Für mich lagen Freundschaften stets im Vordergrund. Ich bin ohne Geschwister aufgewachsen, daher musste und konnte ich mich über lange Strecken durch meine Freundschaften identifizieren und Selbstsicherheit finden. Es war mir wichtig, in jemandes Leben an erster Stelle zu stehen und nichts lag näher, als das in der klassischen „Beste Freund*innen“ Kategorie auszuleben. Doch schon im Teenageralter habe ich bemerkt, dass manchen diese Nähe zu eng wurde. Nicht jede*r hatte dasselbe Bedürfnis wie ich: deckungsgleich mit einem Menschen zu verschmelzen. 

Das Ablaufdatum in Freundschaften 

Ich bin oft umgezogen, habe Schule gewechselt. In meinem Leben kam ein Freundeskreis nicht durch geografische Zugehörigkeit zu Stande, ich hatte den Eindruck, ich musste mir die Menschen einzeln aus der Menge klauben. Und so kam es auch, dass in meinem Leben viele Freundschaften ein und aus gingen. Erst viel später, mit Mitte zwanzig habe ich begriffen, dass es auch in der Freundschaft oftmals einen abgesteckten Zeitpunkt gibt – ein Ablaufdatum, wenn man so will. Manche Gruppen oder Freund*innen werden für gewisse Lebensabschnitte da sein, die Bedürfnisse und Ansprüche dieser Zeit erfüllen und später durch wechselnde Lebensumstände abgelöst. 

© Jaqueline Scheiber

Und dann gibt es einzelne Personen, die man über all die Jahre bei sich trägt. In meinem Fall sind das sehr vereinzelte Personen, mit denen ich allerdings auch eine Liebe aus der Distanz pflege. Wenn man über Freundschaften also nachdenkt, wird man schnell zu dem Schluss kommen, dass sie in den unterschiedlichsten Formen und Zeitabschnitten vorkommen. Man wird bemerken, dass sie aus den verschiedensten Gründen überhaupt erst entstanden sind und ebenso anders zu Ende gehen. 

Ich habe den Eindruck, dass nach und nach Freundschaften in der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung einen höheren Stellenwert erfahren. Modelle romantischer Beziehungen werden vielfältiger und offener gedacht. All die Lust, Liebe und Zuneigung, die in uns steckt, findet nicht mehr ausschließlich zwischen Partner*innen statt, sondern wird auf erweiterte Beziehungskonstrukte aufgeteilt. 

© Bianca Maria Braunshofer

Der Treibstoff in Beziehungen 

Während die vergangenen Monate aufgrund der Corona-Pandemie viele zwischenmenschliche Beziehungen auf die Probe gestellt haben, blieben auch unsere Freundschaften teilweise auf der Strecke. Menschen, mit denen wir nicht einen Haushalt teilten, konnten wir wochenlang oft nur über einen Bildschirm oder zu einem windigen Spaziergang sehen. Alltägliche Aktivitäten, die wir mit Freund*innen teilten, waren eingeschränkt oder ausgesetzt, sodass auch der Treibstoff einer jeden Beziehung – nämlich das Teilen und gemeinsame Erleben von Ereignissen – ausblieb. 

Also braucht es jetzt vor allem wieder Initiative, ein Herantasten und zurückfinden. Es braucht ein Wiedererkennen und klassisch „einchecken“ bei den Liebsten. Doch worin liegen die Grenzen einer Freundschaft und was muss sie tragen? 

Muss Freunschaft jede Krise tragen, gar einer Pandemie standhalten? 

Freundschaften spiegeln einzelne Aspekte unserer eigenen Persönlichkeit wider. Während in romantischen Beziehungen oft die Idee entsteht, eine einzelne Person müsste sämtliche Bedürfnisse abdecken, wissen wir in platonischen Beziehungen mittlerweile ganz gut: Mit der einen Freundin gehe ich klettern, mit dem anderen Freund auf Konzerte. Es sind die Herausforderungen und Grenzen des Lebens, die sich auch in Freundschaften wiederfinden. Ich habe Krisen erlebt, die beinahe mein gesamtes Umfeld ausgewechselt haben oder kurze Bekanntschaften, die sich rasch als eng und solide bewiesen. 

© Jaqueline Scheiber

Communication is key

Wenn es eine Sache gibt, die mir bei meinen Überlegungen zu diesem Thema schmerzlich bewusst wurde: Auch Freundschaften brauchen Kommunikation. Das klingt so offensichtlich, dass es absurd scheint, dafür eine Erkenntnis zu benötigen, tatsächlich aber erlebe ich häufig, dass Freundschaften daran scheitern, weil die – ich nenne sie in diesem Fall – Teilnehmer*innen dieser Beziehung, nicht klar oder ausreichend aussprechen, welche Erwartungen, Wünsche und Bedürfnisse sie an die jeweils andere Person richten. Eine unsichtbare Barriere hat es verhindert Beziehungsgespräche mit unseren Freund*innen zu führen und einen gemeinsamen Weg zu finden, der uns daran erinnern soll, was wir brauchen und ob diese Beziehung auch auf Zukunft, anstatt nur auf Gewohnheit beruht.

© Kevin Geronimo Brandtner

Das beantwortet auch die Frage, was eine Freundschaft leisten kann. Sie kann alles und im nächsten Moment nichts. Denn solange wir bewusst wählen, uns abstimmen und Worte für ein Zwischeneinander finden – ist es möglich in Freundschaften zu fallen, aufgerichtet oder an Dinge erinnert zu werden, die man selbst über sich vergessen hat.

Dann ist es keine Irritation, wenn ein*e Freund*in rät einmal professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen oder weniger Alkohol zu trinken. Dann ist es aushaltbar, wenn politische Meinungen diskutiert werden, ohne am Schluss in völligem Einverständnis auseinander zu gehen und dann ist es okay, wenn jemand über eine längere Zeit abwesend war. Denn Freundschaften haben Grenzen, aber innerhalb dieser beinhalten sie für die meisten von uns unfassbar große, freie Flächen und Orte, an denen wir uns verstanden fühlen. 

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.