Sprachgewitter: Der Sommer ist mein Trigger, mein Körper erinnert sich

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Die Temperaturen steigen, der Asphalt dampft. Ab und an ein Sommergewitter, lauwarmer Regen prasselt an den Armen herab, auf dem Heimweg aus dem Büro. Es riecht nach Sonnencreme und Schweiß, es riecht auch nach blühenden Beeten, nach glühender Kohle oder nasser Erde. Der Sommer hält Einzug. In sicherer Wiederholung bäumt er sich auf und legt sich über die heißen, hellen Monate, mitten im Jahr.

Doch während sich andere gegenseitig an den Mundwinkeln hängen und das Eis an der Zunge zergehen lassen, rüttelt mich der Sommer auch stetig wach. Mein Körper erinnert sich. 

Aber was bedeutet das, „mein Körper erinnert sich“? Schließlich gibt es ein Gehirn und irgendwo darin verbunden ein Zentrum für Gedächtnis und Erinnerung. Davon spreche ich allerdings nicht. Trauma ist zumeist ein Ereignis, das die Wahrnehmung des eigenen Lebens in ein „zuvor“ und „danach“ einteilt. Es liegt eine Trennlinie mitten in unserer Erinnerung, die von nun an als zentraler Orientierungspunkt gelten wird. 

© BAM! | Marietta Dang

Der Sommer ist mein Trigger

Im Sommer 2016 ereignen sich für mich eine Reihe an traumatischen Ereignissen. Beginnend im Juni erlebe ich selbst meine Gesundheit gefährdet, es folgten unter anderem lebensbedrohliche Notoperationen, woraufhin ich nur wenige Wochen später meinen damaligen Partner leblos auffand. 

Dass es viel Arbeit, Zuwendung und Kraft gekostet hat, diese Erlebnisse zu verarbeiten und in mein Leben einzuordnen, versehe ich hier mit einer Randnotiz. Viel eher möchte ich den Fokus darauf lenken, was ich erst viel später begriffen habe. Der Schmerz, die Überforderung und der Schock waren eingebettet in eben die zu Anfang beschriebene Umgebung: den Sommer.

Und was in den ersten Jahren danach für mich als flüchtige Fußnote schien, ist heute das Überbleibsel einer existentiellen Erschütterung: mein Körper erinnert sich. 

© BAM! | Marietta Dang

Ich bin kein kühler Typ

Sobald es wärmer wird und die Stadt sich zu einem triefenden melting point an Glück und Gelächter wird, steigt meine innere Anspannung simultan mit. Ich werde dünnhäutiger, bin leichter aus der Ruhe zu bringen und erlebe eine hohe emotionale Anstrengung vergleichsweise Kleinigkeiten zu bewältigen. Lange Zeit habe ich das für eine Charakterschwäche gehalten oder mich einfach als kühleren Typen abgetan.

Die Wahrheit allerdings ist, dass sich meine traumatischen Erlebnisse ebenso in mein vegetatives Nervensystem eingeschrieben haben. Und das, was ich als besonders anstrengend zu handhaben empfinde, sind Mikro-Trigger, die bei Temperaturen, Gerüchen oder ähnlichen Szenerien alarmieren. 

Meine Psyche und die Anspannung 

Trigger kennt man aus der Traumaforschung vor allem als Auslöser kausaler Zusammenhänge, die den oder die Betroffene zurück in die Schockstarre des traumatischen Erlebens versetzen. Zum Beispiel wäre das bei Kriegsüberlebenden laute Geräusche oder Schüsse. Bei sexuellen Übergriffen kann das ein Geruch oder ein Parfum des oder der Gewalttäter*in sein. 

© BAM! | Marietta Dang

Trigger holen die unmittelbare Situation des bereits Erlebten in die Gegenwart zurück und führen zu einer Wiederholung dessen. Wenn ich hier von Mikro-Triggern spreche, dann meine ich eine abgeschwächte Form, die die Psyche in eine höhere Anspannung versetzt, aber nicht vollends durch das Bewusstsein bricht.

Was mit mir passiert

Warum ist es wichtig, darüber zu sprechen, dass auch Körper ein Erinnerungsvermögen haben? Aus meiner Erfahrung ist es mitunter das Schwerste, nicht zu wissen, was mit einem selbst passiert. 

© BAM! | Marietta Dang

Gefühle und Reaktionen nicht einordnen zu können, führen dazu, dass man sich von sich selbst entfremdet und auch keine Hilfe annehmen oder bekommen kann. Der erste Schritt ist demnach auch immer ein Stück weit Psychoedukation.

Psychoedukation bedeutet, sich über Vorgänge, Auswirkungen und Facetten unserer Psyche klar zu werden und sich schlicht und ergreifend besser kennen zu lernen. Psychoedukation wird vorrangig bei Störungsbildern der Psyche bei Betroffenen eingesetzt. Ich würde es so bezeichnen: wenn man seinen Gegner kennt, kann man besser auf ihn reagieren. 

Der Sommer macht was mit mir

Und so war es auch für mich eine Erleichterung zu begreifen: Okay, im Sommer bin ich angeschlagen, tendiere dazu weniger leisten zu können und reagiere auf Situationen weniger resilient, als es mir zu anderen Jahreszeiten gelingt. Diese Information hilft mir und meinem Umfeld in den Sommermonaten einen Umgang für mich und mit mir zu schaffen, der auch eine vermeintlich schwerere Zeit erleichtert, weil auf meine Bedürfnisse reagiert werden kann.

© BAM! | Marietta Dang

Erinnert sich dein Körper? 

Die Selbstreflexion und die immerwährende Auseinandersetzung mit den eigenen Lebensabschnitten müssen nicht allein von Statten gehen. Psychotherapie, Supervision oder das ein oder andere intensive Gespräch mit Freund*innen und Familie können helfen, um für sich Klarheit zu schaffen, wo die eigenen Minen begraben liegen.

In dieser Welt zu leben – mit all den Belastungsproben und kollektiven Katastrophen, die sie bereithält – ist schon schwer genug. Deswegen möchte ich daran appellieren, uns in unserer individuellen Beschaffenheit so gut es möglich ist, auf uns und unsere Gesundheit zu achten. Und Sanftheit und Nachsicht walten zu lassen. 

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.