Wer verdient ein vermeintlich leichtes Leben?
Ich bin der tiefen Überzeugung, dass jeder Mensch ein gutes Leben verdient hat, unabhängig davon, was er oder sie leistet. Denn eben dieser Leistungsgedanke ist es, der die breiten Gräben unserer Gesellschaft durchzieht. Schon lange reicht „Leistung“ nicht mehr aus, um sich ein gutes Leben schaffen zu können. Heute wissen wir, dass Herkunft, Bildungschancen, Privilegien und Geschlechteridentität eine weitaus größere Rolle darin spielen, wie vermeintlich einfach ein Leben verlaufen kann. Und darin sind mögliche biografische Einschnitte, psychische und physische Erkrankungen, auf die wir keinen Einfluss haben, noch gar nicht enthalten.
Der Neid drückt ein Bedürfnis aus, aus den eigenen Belastungen und Benachteiligungen auszubrechen. Er ist ein Symptom eines kapitalistischen Systems, das nach unten schlägt, statt die Strukturen zu hinterfragen. Auch ich kann mich nicht gänzlich von ihm befreien, doch wann immer es mir möglich ist, versuche ich meinen Neid mit Anerkennung und Wertschätzung zu ersetzen. Denn anstatt jemandem Missgunst entgegenzubringen, möchte ich mich freuen, dass jemand nicht durch den Schlamm waten muss, um ein wenig Freude, Leichtigkeit und Freiheit zu genießen.