Sprachgewitter: Warum gönnen wir nicht? Eine Annäherung an eine Neidgesellschaft

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Im Februar 2021 erhielt ich die langersehnte erste Teilimpfung gegen die Covid-19-Infektion. Als ich meine Euphorie und Erleichterung darüber auf den Sozialen Medien teilte, wurde ich schnell mit etwas konfrontiert, das schon wenige Wochen später ein gängiges Wort sein wird: Impfneid.

Ich bekam erboste Nachrichten darüber, wieso ausgerechnet ich bei den ersten Impfterminen miteingeschlossen war, während Pflegepersonal teilweise noch auf ihre Impfung wartete. Ich bekam abschätzige Bemerkungen, was meine Arbeit als Sozialarbeiterin so systemrelevant mache, dass ich bereits geimpft werde. Ich bekam ungezügelten Frust und Wut über die Folgen und Zustände, die diese Pandemie vor den Vorhang geholt hatte.

 

Meine erste Reaktion waren Rechtfertigungsversuche, schließlich arbeitete ich auch seit dem ersten Lockdown im Klient*innenkontakt und war Risikopatient*innen ausgesetzt. Dass mein Arbeitgeber eine frühe Impfung für seine Mitarbeiter*innen organisieren konnte, machte mich dankbar und stolz, denn da gab es jemanden an der Spitze einer Einrichtung, der um die Gesundheit und den Schutz seiner Mitarbeiter*innen kämpfte. Im zweiten Schritt schwappte die Wut auf mich über und ich begann mich vermehrt und intensiver mit dem Gefühl des Neids auseinanderzusetzen.

via Unsplash/Kaja Reichardt

Denn Neid ist kein neues Phänomen in unserer Gesellschaft, er konzentrierte sich nun bloß auf das rarste Gut unserer Gegenwart: das langersehnte Freiheitsticket aus den Beschränkungen und der Angst vor einer schweren Erkrankung.

Aus Benachteiligung wächst Neid

Ich kenne den Neid selbst zu gut, denn auch ich habe von Zeit zu Zeit nach links und rechts gesehen und mich gefragt, wieso es andere vermeintlich leichter hatten als ich. Vor allem während meiner Studienzeit war der Neid sehr laut, als ich morgens um sieben Uhr das Haus verließ, um arbeiten zu gehen und abends um zweiundzwanzig Uhr müde von der Fachhochschule nach Hause kam, während viele in meinem Alter keinen Gedanken daran verschwenden mussten, wie sie die Miete bezahlen oder den Lebensmitteleinkauf bewältigen. Man könnte behaupten, mehr als ein Drittel meines Lebens fühlte ich mich anderen gegenüber im Nachteil und dieses Gefühl der Benachteiligung ist der beste Nährboden für Eifersucht.

via Unsplash/Nadia Valko

Vor wenigen Wochen schickte mir eine Freundin einen Screenshot einer Nachricht, die sie als Reaktion auf einen gut bezahlten Auftrag bekam. Eine Leserin ihrer Arbeit war erbost und enttäuscht darüber, dass sie sich „für so etwas“ verkaufe und sich dadurch bereichere. Jene Freundin arbeitete seit Jahren in den verschiedensten Bereichen an vorderster Front um Ungleichheiten und Diskriminierung aufzuzeigen und jenen eine Stimme zu geben, denen sie in der breiten Wahrnehmung verwehrt blieb. Dass sie ihr Einkommen nicht ausschließlich aus harter Bildungsarbeit bezog, schien mit einem Mal alles davor zu relativieren. Meine Freundin schrieb mir sichtlich betroffen „… aber warum gönnt sie’s mir nicht?“. Über diesen Satz habe ich lange nachgedacht.

Gönnen als Fähigkeit 

Warum ist uns die Fähigkeit abhandengekommen uns für andere Menschen zu freuen und ihnen ein Stück Erleichterung auf ihrem Lebensweg zu gönnen? Die Wahrheit ist: Wir wissen nicht, womit Menschen zu kämpfen haben, die wir um ihre Erfolge oder ihr Glück beneiden. Die Wahrnehmung eines Menschen, seine/ihre inneren Herausforderungen sind so individuell und unterschiedlich, dass es unmöglich ist zu erahnen, was es alles gebraucht hat, um an diesen Punkt zu kommen.

Auch ich bin längst nicht mehr die um ihre materielle Existenz strampelnde Studentin von damals. Meine Herkunft aus einer einkommensschwachen Schicht hat mich geprägt, doch meine heutige Realität hat wenig damit zu tun, wie ich damals lebte. Habe ich hart dafür gearbeitet? Ja, aber an einigen Stellen hatte ich auch schlicht und ergreifend Glück oder ein Privileg, nicht sichtbar mit Migrationsbiografie in Verbindung gebracht zu werden.

© Sophie Nawratil

Wer verdient ein vermeintlich leichtes Leben?

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass jeder Mensch ein gutes Leben verdient hat, unabhängig davon, was er oder sie leistet. Denn eben dieser Leistungsgedanke ist es, der die breiten Gräben unserer Gesellschaft durchzieht. Schon lange reicht „Leistung“ nicht mehr aus, um sich ein gutes Leben schaffen zu können. Heute wissen wir, dass Herkunft, Bildungschancen, Privilegien und Geschlechteridentität eine weitaus größere Rolle darin spielen, wie vermeintlich einfach ein Leben verlaufen kann. Und darin sind mögliche biografische Einschnitte, psychische und physische Erkrankungen, auf die wir keinen Einfluss haben, noch gar nicht enthalten.

Der Neid drückt ein Bedürfnis aus, aus den eigenen Belastungen und Benachteiligungen auszubrechen. Er ist ein Symptom eines kapitalistischen Systems, das nach unten schlägt, statt die Strukturen zu hinterfragen. Auch ich kann mich nicht gänzlich von ihm befreien, doch wann immer es mir möglich ist, versuche ich meinen Neid mit Anerkennung und Wertschätzung zu ersetzen. Denn anstatt jemandem Missgunst entgegenzubringen, möchte ich mich freuen, dass jemand nicht durch den Schlamm waten muss, um ein wenig Freude, Leichtigkeit und Freiheit zu genießen.

 

Am Ende des Tages ist es wieder die Empathie und ein kollektiver Rückhalt, der uns menschlicher macht und uns gegenseitig unterstützen lässt. Ein kollektiv, dessen Gemeinschaft viel eher politische und systematische Missstände bekämpfen und verändern kann. Ob es nun eine Impfung oder ein gut bezahlter Job ist – ich möchte es anderen gönnen. 

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.