Sprachgewitter mal anders: Über Offenheit, mutig sein und gehört werden

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BAM!-Kolumnistin Jaqueline schreibt hier einmal im Monat über ihr Innerstes, die Erfahrungen, die sie im Leben bereits machte und ihre Gefühlslage. Das alles hat sie jetzt auch wundervoll in einem Buch zusammengefasst und zu Papier gebracht. „Offenheit“ erschien diese Woche und wir möchten dir einen kleinen Auszug daraus exklusiv hier auf BAM! zeigen.

Es ist 2019 und ich schreibe über meine psychische Erkrankung. Im Sommer bemerke ich erstmals, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich klappere Ärzte ab, ich werde auf  unterschiedlichste Psychopharmaka eingestellt. Ich ziehe einen stationären Aufenthalt in  Erwägung. All das geschieht als Folge einer gewissen genetischen Prädisposition und multipler  Herausforderungen und Traumata, die mein Leben bisher mit sich gebracht hat.  

„Sie haben eine chronische Erkrankung“, sagt der Arzt zu mir, als ich im viel zu großen  Besprechungszimmer drohe unterzugehen. Eine chronische Erkrankung, die für mich im ersten Moment anders zu sein scheint als Diabetes oder Rheuma. Sie ist unsichtbar. Kein Ultraschall kann sie erfassen, auch im Blutbefund fällt sie nicht auf. Trotzdem verursacht sie Schmerzen, bildet Brandherde. Sie kommt in Schüben. Ohne ärztliche oder therapeutische Behandlung sind ihre Ausbrüche kaum unter Kontrolle zu bekommen und die Folgen ermüdend, ja von Zeit zu Zeit sogar zermürbend. 

Inwiefern unterscheidet sich meine Erkrankung nun von anderen? Die Wahrheit ist, das tut sie nicht. Meine Erkrankung fällt unter den Begriff der psychiatrischen Störungen, sie ist, vereinfacht gesagt, auf ein hormonelles Ungleichgewicht in meinem Gehirn zurückzuführen. Genau genommen vermutet man, dass die sogenannten Neurotransmitter, die Botenstoffe wie Serotonin übertragen, gestört sind. Dadurch kommt es zu ausgeprägten Stimmungen, die man als Manie und Depression bezeichnet. Ich bin bipolar. Über die Ursache ist man sich weitgehend im Unklaren. Traumata, Stress und organische Faktoren spielen eine Rolle.

@ Kevin Geronimo Brandtner

Anders als nach außen repräsentiert, hat auch diese Erkrankung viele Gesichter. Zwischen Wahnsinn und Tiefpunkt gibt es unzählige Abstufungen. Diese reichen von hypomanen Symptomen, das ist beispielsweise die Vorstufe zu einer ausgeprägten Manie, bis hin zu Mischzuständen, in denen sich stabile Stimmungen mit depressiven Tagen oder Aspekten vermengen. Obwohl die  Erkrankung für ihren Schwarz-Weiß-Kontrast bekannt ist, ist sie – zumindest für mich – alles  andere als das. Ich erlebe keine tiefe Traurigkeit, was ich erlebe, ist ein Nullton, der meine Gefühle, meine Konzentration und meine Energie auf ein Minimum reduziert.  

@ Bianca Maria Braunshofer

Dass etwas nicht stimmen konnte, wurde mir das erste Mal früh morgens in einer Hotel-Lounge in Barcelona bewusst. Ich hatte zuvor drei Tage auf einem Festival getanzt, gefeiert und gelacht. Das klingt erst einmal nicht ungewöhnlich. Was jedoch seltsam war: Ich benötigte kaum Schlaf, um tagelang aktiv und energiegeladen zu sein, war zu dem Zeitpunkt stark erkältet und fühlte mich dennoch unbesiegbar. 

Ich empfand keine körperlichen Beschwerden, lief mit einem Antrieb, der mich immer weitermachen ließ. Andere auf dem  Festival nahmen Drogen, um auf dieses Hoch zu kommen, auf dem ich wie von allein zu schweben schien. Ich war (hypo-)manisch. Zurück in Wien angekommen, schien mir der Gedanke absurd, jedes Glücksgefühl zu pathologisieren, und ich verwarf die Zweifel. Doch der Absturz kam, und er traf mich mit voller Wucht. 

@ Kevin Geronimo Brandtner

Von einem Tag auf den anderen konnte ich nichts mehr fühlen, die Erschöpfung brach über mich herein, doch der Schlaf blieb mir weiterhin verwehrt. Ich konnte nicht mehr essen, meine Konzentration kam mir abhanden, ich entwickelte massive Denklücken und -störungen. Was von mir blieb, war eine Hülle ohne Innenleben. Das war der Zeitpunkt, an dem mir klar wurde, dass ich Hilfe benötigte.  

Das Kapitel, das darauf folgte, hieß: Passierschein A38. Wer die berühmte Szene aus  dem Asterix-und-Obelix-Film kennt, weiß, was ich damit meine: Es war ein langer Weg, um an der richtigen Stelle zu landen. Ärzte abklappern, auf Termine warten, Medikamenteneinstellungen und eine klinisch-psychologische Diagnostik, um sich einer Ursache bewusst zu werden. Die Versorgungslandschaft für Menschen mit psychischen Problemen und Erkrankungen ist prekär. Es dauert Wochen und Monate, bis man irgendwo andocken kann. 

@ Kevin Geronimo Brandtner

Ich sitze also in dem Besprechungszimmer, es ist drei Monate her, dass der Einbruch mich erwischt hat. Seitdem habe ich viel über mich und meine neue Situation gelernt. Mein Psychiater benutzt ganz bewusst das Wort „chronische Erkrankung“ anstatt „psychische  Störung“, er normalisiert, er setzt alles in den Kontext, er weiß, dass es wichtig ist, schon in der Wortwahl zu vermitteln, dass hier ein längerer Handlungsbedarf besteht. Bipolar, das ist eine Beschreibung der Umwege, die mein Stoffwechsel machen muss, weil irgendwo ein Botenstoff falsch abgebogen ist.

Bipolar, das ist nicht heilbar oder austherapierbar. Es ist ein lebenslanges Lernen. Lernen, mehr zu sein als eine Diagnose und doch nicht außer Acht zu lassen, dass sie existiert. Manche Menschen erleben nur wenige Schübe oder akute Phasen,  andere leiden unter einem häufigen Auf und Ab. Das kann individuell stark variieren. 

@ Jaqueline Scheiber

Wenn du den Rest von Jaquelines inspirierender und mutiger Geschichte lesen möchtest, kannst du ihr Buch „Offenheit“ jetzt kaufen.

Headerfoto

@ Kevin Geronimo Brandtner

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.