Sprachgewitter: Warten als Tätigkeit

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Hör' dir Jaquelines Kolumne hier an

Ich bin kein geduldiger Mensch. Ich kann Dinge nicht abwarten, denn wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, muss es auf der Stelle geschehen. Das kann schon einmal dazu führen, dass ich nachts beginne, die Wohnung neu zu arrangieren oder für meinen Geburtstag Einladungen zwei Monate im Voraus aussende. Die meisten Vorhaben, die ich plane, haben einen konkreten Ablaufplan. Sie sind zeitlich begrenzt, vor allem aber sind sie absehbar. Selbst, wenn etwas nicht sofort verfügbar ist, kann ich in Erfahrung bringen, wann es soweit ist. Ich kann Tage zählen, kreuze in den Kalender setzen und wie ein Kind ausmalen, wie oft ich noch schlafen muss, bis ein ersehntes Ereignis passiert. Geduld ist eine Tugend, über die ich nicht verfüge. 

© Bianca Maria Braunshofer

Die Covid-19 Pandemie hingegen stellt eine ganz neue Herausforderung an meine Geduld, und die vieler Menschen dar. Plötzlich werden Maßnahmen veranlasst, die kein ersichtliches Ablaufdatum haben. Es ist von „Durchhalten“ und „Weitermachen“ die Rede. Mit einem Schlag befinden wir uns in einer Warteposition mit unklarem Ausgang. Auf Social Media ist gut zu beobachten, wie unterschiedlich damit umgegangen wird. Manche strecken die Zeit mit einer Vielzahl an Erledigungen und steigern ihre Produktivität mit Sport, Brot backen oder räumen ihr Kellerabteil endlich auf. Andere verfallen in eine Schockstarre und der Leistungspegel sinkt. Nicht für jeden und jede ist ein passendes Angebot in den eigenen vier Wänden zu finden. 

Meine Geduld und ich, wir arbeiten uns von Pressekonferenz zu Nachrichtensendung zu Pressekonferenz vor. Mit einem mulmigen Gefühl verfolge ich tagesaktuell die Berichte der Zeitungen und Nachrichtenkanäle und warte auf ein Datum, eine Zeitspanne, die ich mit mir und meiner Geduld verhandeln kann. 

© Jaqueline Scheiber

Neben meiner Ungeduld, stellt mich die Pandemie auf eine weitere Probe. Als Mensch mit einer chronischen, psychischen Erkrankung sind unsichere Zeiten wie diese, besonders herausfordernd für mich. Wie andere an ihrer Ausdauer arbeiten, trainiere ich Tag für Tag Struktur und Ordnung, für meine zerbrechlichen Gedanken. Was mir in schlechten Phasen Halt gibt, ist jetzt kaum oder nur digital möglich: der Austausch mit Freund*innen, ein gemeinsames Essen oder jemand, der auf eine Tasse Tee vorbeikommt. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich während der Ausgangsbeschränkungen meinen Partner regelmäßig sehe und nicht auf physische Nähe verzichten muss, denn körperliche Berührung schüttet Glückshormone aus. Doch was passiert mit all jenen, die keine*n Partner*in oder Mitbewohner*innen bei sich haben? 

© Jaqueline Scheiber

Die Geduld wandelt sich zu einem Ausharren und minimiert sich in kleinen Portionen sozialer Interaktion. Ich habe eine Freundin, die unter Depressionen leidet. In der Zeit der Ausgangsbeschränkungen, war sie völlig auf sich allein gestellt. Regelmäßige Videokonferenzen und ab und an ein Päckchen an ihre Adresse haben den Umstand nur minimal verringert, dass die Nächte einsam waren. Digital musste sie daran erinnert werden regelmäßig zu essen und aus ihrer Gedankenspirale herausgelockt werden. Ihre Geduld ist stärker auf die Probe gestellt, als die von manchen anderen Menschen. Sie ist nur eines vieler Beispiele von Menschen, die durch die Maßnahmen der Regierung langfristige Folgen in ihrer psychischen Gesundheit verzeichnen.

Die Covid-19 Pandemie macht uns nicht nur darauf aufmerksam, wer systemrelevant ist oder welche Tätigkeiten unverzichtbar für den Alltag sind – es zeigt vor allem auf, dass wir neben all den Muskeln, die wir im Home Workout trainieren auch unsere Geduld neu anordnen müssen. Dahingehend, dass es manchmal kein Ablaufdatum, kein Tage zählen und kein „Auf der Stelle“-Verfügbar gibt. Dass wir unsere Werte aus der Gier etwas augenblicklich zu bekommen in die Empathie verschieben, und es uns gelingt, all jene miteinzuschließen, die es in Zeiten kollektiver Unsicherheit noch schwerer haben. Und dadurch ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass unsichtbare Erkrankungen in Zeiten des sozialen Rückzugs mehr Raum einnehmen. 

© Jaqueline Scheiber

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.