Sprachgewitter: Wie wir Privilegien erkennen und daran arbeiten, Räume nicht zu besetzen

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Mein Umfeld ist politisch. Nicht erst seit 2020 beschäftigen sich meine Freund*innen mit Missständen und marginalisierten Gruppen. Einige von ihnen sind aktiv in Organisationen, Vereinen oder nutzen ihre Plattform, um Aufklärung zu leisten. Auch ich zähle mich dazu. Schon in meiner Schulzeit war ich an Schülerdemonstrationen beteiligt, habe mich im Kollegium organisiert und habe seitdem wenige Gelegenheiten ausgelassen, meinen Unmut kundzutun. Kritisch und politisch interessiert zu sein, das gehört zu meinem Beruf als Sozialarbeiterin dazu. Doch was genau bedeutet das Wort „Ally“ und wie wird man diesem Anspruch gerecht? 

Allem voran habe ich dazu kein Rezept und schon gar eine Anleitung. Was ich biete, was ich immer exemplarisch zur Verfügung stellen kann, ist meine Erfahrung. Erfahrung, die ich in den vergangenen Jahren für mich gesammelt und eingeordnet hab. Einerseits beruflich als Sozialarbeiterin, die täglich mit marginalisierten und benachteiligten Personengruppen und ihren Lebensrealitäten konfrontiert ist, und andererseits als gebildete, politisch interessierte Frau, die selbst stets abwägt, welchen Einfluss persönliche Entscheidungen für ein Gemeinwesen haben können. 

Eine Freundin von mir sagte einmal den Satz “All weather is process” und daran denke ich oft, wenn Diskurse aufflammen oder neue Perspektiven sich auftun. Ich stelle somit keine Expertise zu dem Thema zur Verfügung, sondern meine ganz eigene Entwicklung und welche Aspekte mir davon aus heutiger Sicht wesentlich erscheinen.

Die direkte Übersetzung des Wortes “Ally” bedeutet Verbündete*r und wird im Englischen wie folgt definiert:  An ally is someone who supports people who are in a minority group or who are discriminated against, even though they do not belong to that group themselves. 

Der Begriff hat vor allem in politisch linken Diskursen Bedeutung gewonnen, da er immer mehr Menschen dazu aufruft, Solidarität und Unterstützung zu zeigen für jene, die ihre Stimme nicht erheben können oder (mehrfach) von Diskriminierung betroffen sind. 

© Kevin Geronimo Brandtner

Ein Ally kann also erstmal jede*r sein. Ich muss zugeben, dass ich lange Zeit gedacht habe, meine bloße Einstellung, mein weltoffener Zugang und meine respektvolle Haltung anderen gegenüber würde ausreichen, um mich als Verbündete zu definieren. Doch vor allem in den letzten Jahren habe ich festgestellt, dass das bloß eine Ausgangsposition ist, der auch Handlungen und Entwicklung folgen muss. 

Es beginnt bei der Privilegienbewusstseinsbildung

Ein langes, kompliziertes Wort. Möglicherweise habe ich das soeben erfunden. Was dahinter steckt, ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien. In ihr liegt der Grundstein, das absolute Minimum, um zu einem Ally zu werden. In meiner individuellen Betrachtung meines Lebens hätte ich noch vor einigen Jahren gesagt, dass ich stark vernachlässigt aufgewachsen bin. Migration und Armut, ein von der Norm abweichendes Körperbild – all dies sind Faktoren, durch die auch ich Diskriminierung erfuhr. 

© Kevin Geronimo Brandtner

Doch darüber hinaus besitze ich dennoch Privilegien, die mir viele Dinge ermöglicht haben, die anderen verwehrt bleiben, oder nur sehr schwer erreichbar scheinen. Ich werde als weiße, heterosexuelle Frau gelesen und wahrgenommen, trage einen österreichisch klingenden Nachnamen, und anhand meiner äußerlichen Merkmale kann man mir keine Religionszugehörigkeit zuschreiben. Ich habe keinerlei sichtbare oder physische Einschränkungen, die mir den Zugang zu Räumen der gesellschaftlichen Teilhabe verwehren. 

So simpel das klingt, so weitreichend sind die Möglichkeiten, die mir anhand dieser Tatsachen geboten werden. Ich machte mir also bewusst, dass meine persönliche Benachteiligung eine Bedeutung für mich hat, dass meine Verletzungen und Traumata valide sind und dies allerdings sogleich nicht ausschließt, dass ich dennoch privilegiert bin. 

© Kevin Geronimo Brandtner

Diese Erkenntnis ermöglicht mir ein Bewusstsein dafür, zu beobachten, wie Menschen bei dem ein oder mehrere Faktoren davon abweichen, anders behandelt werden. Ein Ally kann ich dann sein, wenn ich in solchen Situationen einschreite, obwohl ich persönlich nicht betroffen bin. 

Weiterbildung is key

Für mich war es an dieser Stelle, neben meinem Studium der Sozialen Arbeit, wieder einmal Social Media, das mich auf Diskurse und Ungleichgewichte aufmerksam gemacht hat. Doch auch zur Weiterbildung auf beispielsweise Instagram muss ich ein paar Worte erörtern. Einige Menschen stellen entweder als Privatpersonen, Vereine oder Kollektive dezidiert Bildungsinhalte zur Verfügung. 

Diese werden nicht selten in der aktuellen Ästhetik aufbereitet und leicht verständlich formuliert. Bildungsarbeit kostet Energie, Zeit und emotionale Ressourcen. Daher hier auch mein Appell an Leser*innen: Wenn ihr könnt, unterstützt vor allem BIPoC und/oder queere Menschen im besten Fall monetär, doch allenfalls zumindest durch Verbreitung und Wertschätzung der Inhalte. Nachfragen, Unklarheiten oder der “eigene Senf” haben hier aber im ersten Impuls nichts zu suchen. 

Wenn ich Bildungsinhalte konsumiere, auf eine Diskussion aufmerksam werde oder jemand öffentlich seine/ihre Lebensrealität teilt, habe ich gelernt, im ersten Schritt aufmerksam zuzuhören. Im weiteren Schritt glaube ich der Person und spreche ihr seine/ihre Erfahrungen nicht ab. Und bleiben nach diesen beiden Stufen Fragen offen, halte ich die Darstellung oder den Kontext für unvollständig, dann beginne ich zu recherchieren. 

© Kevin Geronimo Brandtner

Es mag naheliegend sein, dass man versucht, Informationen an der Wurzel einzuholen. Betroffene zu fragen, wie man sie bestmöglich unterstützen kann oder durch ihre Erzählungen und Perspektiven einen Eindruck zu gewinnen. Das ist allerdings kurzsichtig, denn gerade das Einfordern von Bildung und Aufklärung von betroffenen Personen kann re-traumatisierend und kräftezehrend sein. Ressourcen, die viele Menschen darüber hinaus nicht haben.

Dazu möchte ich gerne anmerken, dass gerade diese Bildungsinhalte auch auf Social Media nur begrenzt ihre Tiefe abbilden können und es daher immer sinnvoll ist, sich in der Literatur, Publikationen oder Wortmeldungen rund um das Thema zu informieren. 

Do The Work

Und das führt zur logischen Konsequenz: Angestoßene Diskurse weiter zu verfolgen, die Bücher dazu zu lesen, Internetrecherche zu betreiben und sich umfassende Perspektiven einholen – all das sind kleine Annäherungsversuche dazu, ein Ally zu sein. 

Es ist ein stetiger Prozess, der mitunter schmerzhaft, jedoch vor allem unangenehm sein sollte, denn Menschen wie ich erfahren dadurch, dass die Räume, die sie jahrelang selbstverständlich besetzt haben, kaum divers und intersektional gedacht waren. 

Es ist an der Zeit, sich aus einer passiven Rolle zu schälen und aktiv zu werden, und dafür gibt es unzählige Möglichkeiten. Und zwar: Sprechen wir mit Freund*innen und Familie über unsere Überlegungen und Erkenntnisse, halten wir uns auf dem Laufenden und adaptieren wir die Filter, durch die wir bisher unseren Alltag bestritten haben. Wie divers ist mein Bücherregal? Und meine Playlist? Arbeiten in meinem Job auch Menschen, die abweichende Lebensrealitäten haben? Und hast du schon einmal deinem lokalen Verkehrsverbund eine Mail geschrieben, wieso in der Station immer noch kein Lift zur Verfügung steht? 

Ein Ally sein, das ist kein Aufnäher, den man anlegt, wenn man gerade glänzen möchte.

Das ist eine Verpflichtung, die wir als Kollektiv all den Menschen, die Ausgrenzung erfahren, schuldig sind. 

© Kevin Geronimo Brandtner

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.