Wie du deine Stimme findest und damit die Welt veränderst

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Massenproteste gelten als „globaler Trend“. Auf allen Kontinenten wird aufbegehrt – für Frauen- und Menschenrechte, soziale Gleichheit, Klimagerechtigkeit, gegen Überwachung, Desinformation und autoritäre Regime. Seit 2009 gibt es laut einer Untersuchung des Center for Strategic International Studies immer mehr Protestaktivitäten, Tendenz  – trotz Covid-19-Pandemie – steigend. Diese Proteste sind Ausdruck von Angst und Sorge, aber auch Mut, Widerständigkeit und Zuversicht, die Dinge doch noch zum Besseren wenden zu können – oder zu müssen. Die öffentlichen Räume, die durch Proteste für junge, vielfältige, kritische Stimmen entstehen, kannst auch du nutzen oder sogar selbst schaffen und so die Welt verändern – und wie das gelingen könnte, möchte ich im Folgenden skizzieren.

Neue Anfänge machen

Du veränderst die Welt nicht erst, wenn du jede*n einzelnen überzeugt oder überredet, abgeholt oder mitgenommen hast und alles gut durchdacht und vorbereitet hast. Das heißt, es kommt eher darauf an, „einen neuen Anfang zu machen“, wie es die Philosophin Hannah Arendt so schillernd ausgedrückt hat. Das heißt also, politische Rechte auszuprobieren und zu schauen, was in der Demokratie alles möglich ist, wenn man sich zusammentut, für etwas eintritt, etwas bewegen will – und demokratische Prinzipien und öffentliche Räume mit Protest politisch belebt. Das ist Ausdruck von Freiheit, dafür braucht es keine Genehmigung und keinen Startschuss. Die gesellschaftlichen Konfliktlinien und Krisen bieten da für dich viele Anknüpfungspunkte.

© Vienna Würstelstand | Paul Dragu

Es beginnt mit einem Flügelschlag 

Alles beginnt irgendwo. Werden irgendwo auf der Welt emanzipatorische Gedanken formuliert, gibt es kleine Widerstandshandlungen. Und diese können zu einem anderen Zeitpunkt und an einem anderen Ort auf dieser Welt einen Wirbelsturm, eine Revolution, auslösen. Beliebig kleine Veränderungen eines Systems können zu unvorhersehbar großen Veränderungen führen. Dieses Prinzip wird auch als „Butterfly Effect“ bezeichnet. 

Was braucht es also, um „mit den Flügeln zu schlagen“? 

Zunächst solltest du Initiativen finden, die dich ansprechen. Das geht einfacher, als man denkt – etwa per Internetrecherche nach thematisch spannend klingenden Veranstaltungen, Diskussionen und Lesungen. Oft gibt es auch eigene Vernetzungstreffen. Falls du nichts Aktuelles in deiner Nähe finden kannst, kannst du dich so gut wie überall in Newsletter oder Kontaktformulare eintragen, wie etwa bei “Black Voices”, der neuen antirassistischen Volksbegehren-Initiative in Österreich. 

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Auch beim Frauen*Volksbegehren, das ich mitinitiiert habe, kannst du dich zum Mitmachen eintragen. Oder gründe, wenn du dir das zutraust, am besten gleich gemeinsam mit anderen, die ähnlich ticken wie du, selbst Gruppen oder Initiativen. Dabei hilft dir, wenn du dir klar wirst, für welche Anliegen du dich besonders interessierst – bei welchen Themen wirst du in Gesprächen leidenschaftlich, was macht dir Sorge, was macht dir Mut, wo denkst du, etwas beitragen und bewegen zu können? 

So bekommen Visionen einen Platz in der Welt, werden wirklich, wenn du sie mit anderen teilst. Das kann auf sozialen Medien ebenso stattfinden wie in Diskussionen im Privaten, im Fernsehen, in Schulen oder auf den Straßen. Gerade online gilt es auf das Potential von Gemeinschaften zu setzen, die auf Offenheit und Inklusion basieren – ein Beispiel dafür sind die digitalen Kampagnen der Fridays for Future-Bewegungen, die zu gemeinsamen Handeln in Form von Klimastreiks anregen, online organisiert und koordiniert, oder auch – wenn aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht anders möglich – in Form von Online-Streiks abgehalten werden.

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Aktionen setzen

Auf der Website von #aufstehn findest du eine gut aufbereitete Übersicht über Anliegen, für die du dich aktuell engagieren kannst. Digitale Technologien und soziale Medien wirken überhaupt vernetzend und verstärkend. So kann ein Engagement schon das Unterschreiben und Teilen einer Petition oder eines Spendenaufrufs (wie zum Beispiel jenen aktuellen der Queer Base, die sich für die Rechte von LGBTIQ+-Geflüchteten einsetzt), das Verfassen einer Nachricht an politische Entscheidungsträger*innen (wie zum Beispiel ein “Mail for Future” für die Sache des Klimavolksbegehrens) oder persönliche Postings, die andere sensibilisieren, sein. Oder du entscheidest dich für die Mitwirkung an einer Kundgebung oder Kampagne. 

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Aktionsformen sind vielfältig, können spontan gesetzt oder strategisch und langfristig angelegt sein. Sie können aufklären, polarisieren, etwas verhindern, etwas ermöglichen, Widerstand oder Solidarität demonstrieren. Protest sollte in jedem Fall – natürlich ohne dabei jemanden grob zu schaden – „business as usual“ unterbrechen. Man will schließlich die Öffentlichkeit auf etwas hinweisen, das von öffentlichem Interesse ist oder sein sollte. Die Wiener “Donnerstagsdemos” haben unlängst gezeigt, wie das geht. 

Das eigene Handeln auch verstehen

Aktionen sollten – wenn möglich – mit Analysen verbunden werden, damit du verstehen kannst, warum und wie eine Aktion gesetzt oder ein Protest organisiert wird. Idealerweise setzt du dich auch mit Theorien über gesellschaftliche Verhältnisse auseinander. Theorie hilft, Realität zu erklären und politische Praxis zu begründen. Unverzichtbar ist dabei ein gewisses geschichtliches Grundverständnis: zu verstehen, warum die Dinge so geworden sind, wie sie sind. Dabei wird nämlich klar, dass es keine schicksalshaften Entwicklungen gibt und das Bestehende nicht notwendigerweise, sondern aus Gründen so und nicht anders geworden ist. Im Umkehrschluss heißt das: die Dinge konnten sich in der Vergangenheit und können sich auch in Zukunft wieder anders entwickeln.

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Eine Organisation bildet dabei den Rahmen für Analyse und Aktion. Es kann, muss jedoch nicht immer ein Verein und auch keine Partei sein. Was es braucht, sind solidarische Strukturen, die funktionieren, in denen Ressourcen gebündelt werden, die dir Orientierung und Halt geben. Dazu gehören unabhängige, auf Dauer bestehende Netzwerke wie “Sorority” speziell für Frauen oder “DAS BÜNDNIS für Menschenrechte & Zivilcourage – gegen Diskriminierung & Extremismus” oder aber solche, die ein konkretes Ziel verfolgen, wie die Initiative für ein Lieferkettengesetz, die Konzerne in die menschenrechtliche Verantwortung nehmen will.

Dranbleiben! 

Auch wenn (d)eine Aktion nicht zu einem unmittelbaren Erfolg führt, ändert sie etwas, sie hinterlässt Eindrücke in der Welt und bei den Handelnden. Darauf lässt sich aufbauen, daraus lässt sich lernen. So geht Reflexion. Veränderungen gelingen oft nur auf Umwegen. Die Devise lautet also: Dranbleiben. 

“Never doubt that a small group of thoughtful committed individuals can change the world. In fact, it’s the only thing that ever has.” (Margaret Mead)

Über Christian

Christian Berger ist Feminist und war sogar einer der Sprecher*innen des Frauen*Volksbegehrens. Er hat einen Hintergrund in Anthropologie, Sozioökonmie und Recht, beteiligt sich regelmäßig an öffentlichen Debatten über Gleichstellung und beschäftigt sich als Referent in der Arbeiterkammer Wien außerdem mit der Frage, wie sich Digitalisierung und Strukturwandel sozial, inklusiv und nachhaltig gestalten lassen.