Hinter den Bergen: Warum Alkohol in Österreich Kulturgut ist

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Ein Achterl, ein Seiterl, ein Glaserl Sekt gehen in Österreich eigentlich immer. Egal ob im Job oder neben den Kindern. Warum Alkohol einen besonderen Stellenwert in unserem Land hat, ergründe ich in dieser Kolumne. 

Ich sehe sie ein paar Mal die Woche. Mittags sitzen sie in meinem Lieblingslokal ein paar Tische weiter. Sie sind meistens zwischen vier und acht Personen. Nachdem sie ihre Blazer und Sakkos fein säuberlich über den Stuhl gehängt und den ersten Knopf geöffnet haben, bestellen sie das Mittagsmenü und eine Halbe Bier. Zu Beginn dachte ich, dass sie eben etwas feiern: Geburtstag, Beförderung, Hochzeit, Baby, Scheidung. Je öfter ich selbst in dem Lokal aß, desto klarer wurde mir, dass ihr Anlass die Mittagspause war. 

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Vielleicht liegt es daran, dass ich die vergangenen Jahre in Berlin arbeitete, aber mich beschäftigte der Alkoholkonsum in der Mittagspause. In Deutschland wurde nach meinen Erfahrungen nämlich klarer zwischen Arbeit und Feierabend unterschieden. Wer alkoholisiert in die Arbeit kam, riskierte definitiv eine Abmahnung. Ich schwankte an diesem Tag nun irgendwo zwischen Bewunderung und Beurteilung für die am Nachbartisch. Wie kann man jeden Tag zu Mittag ein großes Bier trinken und danach weiter hackeln? Alle an meinem Tisch lachten über mich, zuckten mit den Schultern und meinten, dass sei eben ganz normal in Österreich.

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Prost! 

Alkohol beim Business Lunch oder im Arbeitskontext ist in Österreich nicht unbedingt eine Seltenheit. Wenn ich zurückdenke an meine Jobs in österreichischen Redaktionen, wurde da eigentlich auch dauernd getrunken. Meistens entkorkte man bereits vor dem Mittagessen eine Flasche Sekt für irgendjemanden. Weil irgendwas zu feiern, gibt es immer. Auch bei Terminen war es oft so, dass ganz automatisch Spritzer oder Wein bestellt wurde. Alkohol gehört in der Arbeit dazu – in der Freizeit sowieso. 

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Dass Trinken keine Tageszeiten kennt, zeigen österreichische Freizeitbeschäftigungen wie das Frühschoppen. Für alle, die das nicht kennen: Hier trifft man sich am Vormittag nach dem Zeltfest am Land. Nicht etwa zum Aufräumen, sondern wieder zum Trinken. Die Musi spielt und neben Würstel mit Sauerkraut oder Spanferkel haut man sich auch mehrere Biere in die Figur – am Vormittag. 

Österreich trinkt sich auf Platz 3 

Blickt man auf Statistiken, bestätigen diese den Eindruck. Im EU-Durchschnitt (2015) trinken nur Estland und Litauen mehr als die Alpenrepublik. Im Jahr sauft der*die durchschnittliche Österreicher*in demnach 12,2 Liter reinen Alkohol. Das muss man sich mal vorstellen. Das sind zum Vergleich in der Flüssigkeitsmenge in etwa 17 Vodka Absolut Flaschen. Oder 610 kleine Fläschchen Jägermeister. 

Rund 200.000 Menschen im Land sind gefährdet, exzessiv zu trinken und krank zu werden. Der Rest trinkt, weil man es in Österreich eben immer so gemacht hat. Denn Alkohol wurde längst zum Kulturgut erkoren. Als Kind lernt man schnell, dass Erwachsene gegen jedes Wehwehchen einen Schnaps trinken und dass Alkohol zu einem guten Essen oder einem guten Abend dazu gehört. Österreich gilt als Weinland noch dazu und hat in der Hinsicht natürlich einiges zu bieten. Nicht umsonst erreichte Wiens Bürgermeister Michael Häupl mit seiner Aussage “Man bringe den Spritzwein!” Kultcharakter. 

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Man bringe den Spritzwein, ah nein den Kaiserschmarrn! 

Eigentlich ist doch auch recht sympathisch, dass das Land gerne in Gesellschaft trinkt und eher mal Feierabend macht. Weniger gesellig ist es aber, wenn Alkohol Menschen ausschließt oder krank macht. Denn wer nicht trinkt, wird schnell mal schief angesehen und ist die Spaßbremse der Nation. Hier ist der springende Punkt: Alkohol als Kulturgut exkludiert oftmals Menschen. Darum schlage ich vor, wir konzentrieren uns mehr auf österreichisches Essen. Denn Mehlspeisen sind österreichische Inklusivität in Reinkultur. 

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Übrigens auch bei der Mittags-Sauftruppe scheint es eine Regel zu geben. Der Kellner erzählt mir, dass sie manchmal (selten) auf ihr Bier verzichten. Nämlich wenn Kund*innen mit zum Essen sind. Dann trinken sie schön brav Soda Zitrone. 

In der BAM! Redaktion wird im Übrigen nie der Schampus in der Mittagspause geköpft, außer wenn unsere Autor*innen mal vorbeikommt. Dann würden wir uns das schon überlegen… ;D

Über die Autorin, Eva

Eva Reisinger wuchs irgendwo im Nirgendwo in Oberösterreich auf. Sie war Österreichkorrespondentin für das junge Magazin des ZEIT-Verlags, kann einen Doppelliter Bier anschreien und am 14. Jänner erschien ihr erstes Buch „Was geht, Österreich?“. Sie lebt als freie Autorin in Wien.