Hinter den Bergen: Warum Mehlspeisen in Österreich einen Sonderstatus haben

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Kaiserschmarrn, Germknödel, Marmeladetaschen, Zimtnudeln, Marillenknödel oder Topfennockerl, hmmm da läuft mir direkt das Wasser im Mund zusammen. Hierzulande isst man Desserts als Hauptgang und findet das auch ganz normal. Warum die Österreicher*innen Süßspeisen aller Art so lieben und was das über sie aussagt, möchte ich in dieser Kolumne erklären.

In einem traditionell österreichischen Wirtshaus ist die Mehlspeise oft das einzige vegetarische Gericht auf der Karte – neben dem Fitness Salat mit Putenstreifen versteht sich. Wie etwa ein Kaiserschmarrn. Der kommt dann auf einem riesigen Teller (oder noch besser im gußeisernen Pfandl) inklusive Zwetschgenkompott daher und reicht von der Kalorienzufuhr gleich mal für drei Mahlzeiten. 

In meiner Kindheit gab es nach der Schule auch oft Palatschinken mit Marillenmarmelade, Hirseauflauf, Kartoffelstangerl oder Topfenknödel. All das wird süß gegessen. Und am Nachmittag gibt es dann trotzdem nochmal sowas wie einen Gugelhupf zum Beispiel, denn süß und süß, das schließt sich wirklich nicht aus. 

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So speziell, dass bestehende Begriffe nicht reichten

Österreich liebt Süßspeisen sogar so sehr, dass man ein eigenes Wort dafür erschaffen hat. Die “Mehlspeise” ist nämlich österreichisch pur, niemand in Deutschland würde jemals verstehen, was man damit meint.

Laut Duden handelt es sich dabei im österreichischen Sprachgebrauch übrigens um ein Produkt, das aus Mehl, Milch, Butter und Eiern hergestellt wird. Wirft man einen Blick auf die Synonyme dafür wie Dessert, Nachtisch oder Flammeri, ist schnell klar, dass es diesen Austriazismus gebraucht hat. Denn eine Mehlspeise ist eben kein Dessert, sondern viel mehr als das!

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Schon Franz Josef I. war eine Naschkatze

Woher kommt nun die Liebe zum Naschen? Ich erkläre mir diese Frage mit der österreichischen Mentalität – wie so vieles andere auch. Über die österreichische Wurstigkeit habe ich ja schon einmal gesprochen. Und auch dieses Mal hat sie wieder ihre Finger im Spiel. Denn wem mehr wurscht ist, der hat auch mehr Möglichkeiten. Das gilt auch für die Kulinarik. 

Während andere sagen würden, man könne doch kein Dessert zu Mittag essen, haben die Österreicher*innen aus fast jeder Mehlspeise ein Nationalgericht kreiert. Aus vermeintlicher Schwäche wurde somit ein sympathisches Charakteristika erschaffen. So hat schon Kaiser Franz Josef I. den Schmarrn geliebt und vermutlich einfach einen zerfallenen Palatschinken gegessen und Gefallen daran gefunden. So erzählt man sich zumindest die Entstehungsgeschichte des Kaiserschmarrns.

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Zu viel Gugelhupf gibt es nicht 

Auch bei Torten und Kuchen gibt es keine Grenzen. Zu Familienfeiern bringen meine Verwandten nämlich nicht nur einen Kuchen, sondern die Tante Waltraud bringt Schwarzwälderkirschtorte, die Tante Margit einen Topfenstrudel, die Marianne macht einen Gugelhupf, die Oma einen zweiten (weil zu viel Gugelhupf kann es gar nicht geben) und irgendwer macht immer noch eine Sachertorte. Zur Sicherheit! Am Ende würden die Kuchen für zehn Familien reichen. So bekommt jede*r zum Abschiedsbussi eine Dose mit den Resten in die Hände gedrückt. 

Aber, better safe than sorry! Bei den Mehlspeisen geht man in Österreich kein Risiko ein.

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Seit Jeher baut Österreich seine Mehlspeisenkultur fleißig aus. Internationale Trends wie vegan oder zuckerfrei leben, in der typisch österreichischen Küche zuckt man dabei aber höchstens mit den Schultern. Denn in eine gscheite Mehlspeise gehört eben auch viel Butter, Ei oder Milch und Zucker sowieso. Und wenn all das nicht in der Mehlspeise selbst enthalten ist, gibt es zumindest einen Portion Schlag dazu. Gesund ist all das natürlich nicht. Ja sogar ziemlich ungesund und das weiß man auch in Österreich. Doch an dieser Stelle möchte ich eine Familienweisheit zitieren: “Was würde uns denn sonst im Leben noch bleiben?”

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Darum: Einfach mal genießen!

Ein weiteres Talent der Österreicher*innen ist, dass sie wirklich gut genießen können. Wir verbringen schon mal stundenlang im Kaffeehaus, trinken zu Mittag gern ein Achterl oder ein Seiterl und lassen uns kulinarisch nicht lumpen. Neben der recht fleischlastigen Küche zählt dazu viel Süßes. Denn wenn es schon kein Schnitzel oder Bratl sein soll, dann doch wenigstens eine Mehlspeise.  

In Österreich isst man jeden Tag, als könnte es der letzte sein. So verschwendet man keine Zeit mit kleinen Desserts, sondern macht sie zum Hauptgang. Und dafür kann und muss man dieses Land wirklich lieben.