Ich bin nicht mutig, für mich sind normale Dinge nur normal

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Bis ins Teenager-Alter, um genau zu sein bis zu meinem 13. Lebensjahr, war mir eines nicht bewusst. Ich wusste nicht, dass ich im Vergleich zu anderen besonders viel und dicken Haarwuchs am Körper hatte. Ich wusste es erst, als ich von meinen Schulkolleg*innen darauf aufmerksam gemacht wurde. 

Ich weiß noch, wie mir eine Schulkollegin sagte: „Du hast echt viele Haare auf den Beinen. Schämst du dich nicht, so im Rock rumzulaufen?“ Das war noch einer der netteren Kommentare.

Wir alle wissen, wie Kinder sein können: Lieb und süß, aber auch unbedacht und brutal. Sie sagen und machen oft einfach, ohne an die Konsequenzen zu denken.  

© @lauri.melone

Die weniger netten Kommentare sahen so aus: „Du siehst aus wie ein Gorilla!“, „Kannst du dir keinen Rasierer leisten?“, „Bist du ein Mann?“ oder „Du musst einen Gendefekt haben!“. Mit 13 fing ich also an, mich für meine Körperbehaarung zu schämen und gleichzeitig fing ich auch an, mir die Haare auf meinem Körper zu entfernen. Meiner Mutter teilte ich nur mit, dass ich Körperhaare nun hasse. 

Jedes Haar war eines zu viel

Zuerst machte ich die Haare mit Enthaarungscremen weg. Dann mit einem Rasierer und irgendwann gab es alle drei Wochen einen Pflichttermin – egal, ob knappes Budget oder knapper Terminkalender – mein Waxing-Termin war mindestens genauso wichtig, wie es war, Nahrung zu mir zu nehmen. Die Worte meiner Kosmetikerin waren leider auch nicht besonders hilfreich: „Ich habe noch nie jemanden mit so dicken Wurzeln gesehen“. Noch ein Grund mehr, meine persischen Wurzeln zu hassen, dachte ich mir damals.

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Wenn es sich mal aus irgendeinem Grund nicht ausging, dann kam es vor, dass ich nicht mit zum Schwimmen gegangen bin. Anstatt einfach mal mit Stoppeln ins Bad zu gehen, besorgte ich mir schnell einen Rasierer, um mir auf dem Klo heimlich und schnell die Haare zu entfernen. Bis zu meinem 22. Lebensjahr war jedes Haar, das nicht auf meinem Kopf oder meinen Augenbrauen wuchs, mein Feind. 

Besser verstecken als akzeptieren

Nicht, dass das nicht schon genug wäre, bekam ich mit 13 auch noch zum ersten Mal meine Menstruation. Ich weiß noch, wie angsterfüllt ich in meine Unterhose starrte. Als Teenager und werdende Frau habe ich dann gelernt, meine Menstruation zu verstecken. Immer schön heimlich nach einem Tampon zu fragen, wenn man keinen mit hat und immer voller Scham dem Freund mitteilen, dass man gerade blutet. Am besten verpackt man das Ganze irgendwie süß und nennt es „Erdbeertage“, weil was könnte der sich sonst noch für ein ekliges Bild von einem machen. Dreizehn war ein besonderes Alter, denn meinen ersten BH trug ich nun auch, obwohl ich ihn nicht brauchte.

Ich erkannte irgendwann, dass das alles nicht nur meine Probleme waren. Es war ein Problem meiner Generation und unserer Gesellschaft. Von allen Ecken – ob zuhause, in der Schule, in den Magazinen, im TV oder in den sozialen Medien – uns wurde mitgeteilt – nein, fast aufgezwungen – was schön und akzeptabel sei und was nicht und was wir besser zu verstecken hatten. Ich nahm meine auferlegten Zwänge damals noch gerne hin, wenn ich dafür nur noch ein Stück mehr dem Schönheitsideal entsprechen konnte. 

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Für mich kam die Wende mit 22. Ich wollte schon immer für unbestimmte Zeit nach Lateinamerika und machte meinen Traum zur Wirklichkeit. Ich buchte ein One-Way-Ticket auf die andere Seite der Welt. Dort bei meinem ersten Yoga Retreat angekommen, wurde mir bewusst, dass ich süchtig war. Süchtig danach, dem perfekten Körper-, und Schönheitsideal nachzujagen. Deshalb traf ich eine Entscheidung: Einen Monat keine Haare entfernen. Aus einem Monat wurden schlussendlich sechs Monate. 

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Es war der Anfang meiner ganz persönlichen Reise

Ich musste aus der Situation beziehungsweise aus dem Alltag und Leben in der Großstadt austreten, um sie von außen und mit anderen Augen betrachten zu können. Ich wusste, dass das nur der Anfang meiner Reise zu mir war. Der Anfang des Ausblendens dessen, was andere über mich denken. Der Anfang davon, all das abzuschütteln, was von mir und Millionen anderen Menschen erwartet wird und der Anfang vom nach innen hören und fühlen, um zu verstehen, wer ICH bin und was ICH möchte.

Heute bin ich 29 Jahre alt, spreche über und entstigmatisiere Themen, die meiner Meinung nach normal sein sollten. Egal ob das Körperhaare, die Menstruation, Nacktheit oder das Akzeptieren und Lieben des physischen Körpers sind. Denn ganz ehrlich, wie langweilig wäre unsere Welt, wenn wir alle gleich aussehen würden, wenn wir alle dieselbe Kultur hätten, dieselbe Sprache sprächen, dieselbe Meinung und Interessen hätten? Wir sollten Diversität, unsere Einzigartigkeit zelebrieren! Denn ist es nicht sie, die uns Menschen so interessant macht? 

© @lauri.melone

Normalize normal bodies

Wir sollten alle Körperformen, alle Geschlechter und die Vielfältigkeit unseres Seins feiern. Wir sollten uns selbst den Freiraum geben, zu erkunden, wer wir sind und uns so entfalten. Gleichzeitig sollten wir alle einen sicheren Raum schaffen, um auch Anderen den Freiraum zu bieten, welchen wir uns selbst wünschen. Weniger bewerten, kategorisieren und diskriminieren und eine Gesellschaft kreieren, die inklusiver denkt und handelt.

Wir brauchen mehr Menschen, die öffentlich über schambehaftete Themen sprechen und sie somit enttabuisieren. Denn wenn wir die schambehafteten Themen anschauen, ihnen Raum geben und sie ansprechen, dann stirbt die Scham irgendwann.

Auf BAM! wollen wir die Scham, die wir verspüren, beseitigen, indem wir über intime und persönliche Dinge sprechen. Du wärst überrascht, wie vielen Menschen es dabei gleich geht. Wenn du also eine ähnliche Erfahrung gemacht hast wie Rebecca, dann schreib uns einfach ein Mail an redaktion@bam-magazin.at.

Über Rebecca

Rebecca ist in erster Linie ein Freigeist und eine kreative Seele. Sie brach vor der Matura die Schule ab und lebte die letzten 5 Jahre ein Nomadenleben. Beruflich schlug sie schon viele verschiedene Wege ein. Seit 2020 ist sie hauptberuflich Influencerin über Instagram und YouTube. Sie teilt tiefgründigen Content zu den Themen Selbstliebe, Körperakzeptanz, Feminismus, vertritt nachhaltige Brands und bricht Tabuthemen.