Sprachgewitter: Die österreichische Soziallandschaft und wie du jetzt helfen kannst

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Der Winter bricht an, er macht sich durch die kühlen, nebligen Morgen bemerkbar und während wir allmählich unsere Heizungen anwerfen und Winterjacken aus dem Kleiderschrank fischen, bedeutet das für eine große Anzahl an Menschen auch: frieren und nicht genau wissen wohin.

Seit ich Sozialarbeiterin bin, denke ich mit dem Ende des Sommers nicht nur an die lauschige Herbstzeit, an Tee und Kerzenlichter und Abende am Sofa mit Serien. Ich weiß auch um die wiederkehrende Not und Enge aller Menschen Bescheid, die wohnungslos sind und für die dadurch ihr Aufenthalts- und manchmal auch Wohnraum, der öffentliche Raum, keinen Unterschlupf mehr bietet.

Notquartiere und Grundbedürfnisse

In Wien wird daher seit einigen Jahren das sogenannte Winterpaket geschnürt. Das bedeutet, dass Gelder in die Erweiterung der Angebote im Wohnungslosenbereich fließen. Dadurch werden zusätzliche Schlafplätze, Wärmestuben und Initiativen, wie das Kältetelefon, finanziert. 

In einer Wohnungsloseneinrichtung zu nächtigen, stellt für viele Menschen eine hohe Barriere dar, weswegen einige eher darauf zurückgreifen, im Freien zu übernachten, bis es zu kalt wird. Das Angebot wurde heuer um 1.000 zusätzliche Betten in Notquartieren erweitert. Vergeben werden diese Plätze über das P7 – das Service für Wohnungslose des Fonds Soziales Wien. 

Die Versorgung des Bedarfs ist allerdings nur durch den Zusammenschluss und eine breite Zusammenarbeit von unterschiedlichen sozialen Organisationen möglich. Das gesamte Winterpaket wird vom Fond Soziales Wien koordiniert und neben Obdach Wien auch gemeinsam mit den Partnern Wiener Rotes Kreuz, Caritas der Erzdiözese Wien, Samariterbund Wien, Volkshilfe Wien, Johanniter und der St. Elisabeth-Stiftung umgesetzt.

Im diesjährigen Winter ist durch die Inflation und die steigenden Energiekosten mit einem Anstieg des Bedarfs an Notunterkünften zu rechnen. Viele Menschen, die bereits zuvor an der Existenzgrenze lebten, können sich das Wohnen am privaten Wohnungsmarkt nicht mehr leisten und verlieren ihr Zuhause.

Allerdings hat auch dieses System seine Tücken. Um Anspruch auf einen Schlafplatz durch den Fonds Soziales Wien zu haben, muss man einige Voraussetzungen erfüllen, die nicht alle wohnungslosen Menschen mitbringen. Daher kann es zu versteckter Wohnungslosigkeit kommen oder Schicksalen, die “durch das Raster fallen“. Im Rest von Österreich kümmern sich vor allem private Vereine und Hilfsorganisationen um die Versorgung wohnungsloser Menschen.

BAM! | Marietta Dang

Wohnen & medizinische Versorgung

Darüber hinaus gibt es Organisationen, wie das Neunerhaus, die sich neben der Versorgung alltäglicher Bedürfnisse wohnungsloser Menschen, mittels (Zahn-)medizinischer, psychologischer und tierärztlicher Ambulanz, auch zur Aufgabe gemacht haben, langfristige Lösungen für Betroffene zu finden.

Housing First ist einer dieser Ansätze, die Menschen dazu befähigen sollen, selbstständig und selbstbestimmt wohnen zu können und trotzdem die Möglichkeit von Beratung und Begleitung in Anspruch zu nehmen. Durch multiprofessionelle Begleitung können Sozialansprüche geltend gemacht werden, wodurch ein stabiles Einkommen entsteht und Menschen ihre Wohnungen behalten können.

Der Weg in ein Projekt wie Housing First kann allerdings mitunter langwierig und erschöpfend sein. Dazu muss man wissen, dass es in Wien ein sogenanntes Stufenmodell gibt, was bedeutet, dass Menschen, die wohnungslos werden, sich von Notquartier über Übergangswohnheime bis hin zu betreutem Wohnen entlang hanteln müssen. Das Modell sieht vor, dass dadurch das Wohnen an sich erst erprobt und engmaschig begleitet wird.

BAM! | Marietta Dang

Leben statt Überleben 

Im Wohnungslosenbereich der Sozialen Arbeit wird daher oft von einer Wohnfähigkeit gesprochen, die beinhaltet, dass Menschen regelmäßig Fixkosten bezahlen können und verlässlich in der Einhaltung ihrer Termine sind. Die Unterstützungsangebote lassen sich grob in “niedrigschwellig“ und “hochschwellig“ unterscheiden. 

In sogenannten niedrigschwelligen Einrichtungen ist beispielsweise kein Termin notwendig, um Beratung oder Versorgung zu bekommen. Das soll den Zugang erleichtern und eine Vielzahl an Menschen dazu einladen, die Angebote anzunehmen. 

Als “hochschwellig“ werden Einrichtungen beschrieben, in denen man einen Termin und/oder bestimmte Unterlagen benötigt, um die Angebote nutzen zu können. Das Stufenmodell sieht daher vor, dass die niedrigschwelligen Einrichtungen Menschen in ihrer Lebensrealität treffen und dazu motivieren und unterstützen, weitere Barrieren zu überwinden.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass es nicht der Wunsch jedes Menschen ist, eine bestimmte Form des Wohnens anzunehmen. Im Winterpaket allerdings geht es vor allem darum, Grundbedürfnisse abzudecken und wohnungslose Menschen vor Krankheit oder im schlimmsten Fall dem Tod zu schützen.

BAM! | Marietta Dang

Das kannst du beitragen:

  • Installiere dir zuallererst die Kältetelefon App, um im Bedarfsfall alle nötigen Kontakte parat zu haben. 
  • Sei aufmerksam und schau nicht weg, wenn du im Winter im öffentlichen Raum eine Person siehst, die bedürftig scheint oder medizinische Versorgung benötigt. 
  • Wenn du dich unsicher fühlst, die Person selbst anzusprechen, verständige je nach Situation das Kältetelefon oder Rettungskräfte.
  • In Wärmestuben und Notquartieren werden im Winter vermehrt ehrenamtliche und befristet angestellte Mitarbeiter*innen gesucht, um die Versorgung zu gewährleisten.
  • Bei Initiativen wie dem Canisibus, der an unterschiedlichen Standorten der Stadt hält und wohnungslose Menschen mit einer warmen Mahlzeit versorgt, kann man sich ebenso freiwillig engagieren.
  • Im Winter sind intakte und nützliche Kleider- und Sachspenden gern gesehen. Falls du gerade deinen Schrank ausmistest und eine brauchbare Winterjacke nicht mehr benötigst, bringe sie zu den zuständigen Abgabestellen.  
  • Falls du eine Fremdsprache beherrschst, kann auch dies für Einrichtungen oft hilfreich sein, um Kommunikation zu ermöglichen.

Wohnungsverlust kann jeden und jede betreffen und ist zumeist eine Folge von Schicksalsschlägen, Erkrankungen oder Unglück. Ein Wohnungsverlust geht mit einer tiefen Trauererfahrung einher und ist immer noch schambehaftet. Daher ist es mir ein Anliegen zu verdeutlichen, dass Menschen, die im öffentlichen Raum wohnungslos erscheinen, ebenso würde- und respektvoll behandelt werden sollen.

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.