Sprachgewitter: Wieso wir negative Gefühle zulassen und Toxic Positivity keine Chance geben dürfen

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Seit einigen Jahren bringe ich unbequeme und tabuisierte Themen auf den Tisch. Was auf meinen Social Media Plattformen allmählich eine bekannte Routine darstellt, habe ich auch in meinem Privatleben etabliert. Ich sitze die schwierigen Gefühle aus und verschaffe ihnen Sichtbarkeit. Neben Zuspruch und Bestärkung, erfahre ich jedoch nicht selten auch etwas, das in den letzten Jahren einen Namen als gesellschaftliches Phänomen bekommen hat. Es handelt sich um den Begriff  „Toxic Positivity“. 

Toxic Positivity beginnt, wo ehrliche Empathie und Anteilnahme aufhört. Sie ist ein Symptom der Hilflosigkeit und ein angelerntes Verhalten, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Sie besagt, dass jedes negative Gefühl jederzeit mit einer positiven Einstellung ersetzt werden kann – und soll. 

Wenn ich mich also in einem Gespräch jemandem gegenüber anvertraue und über verletzende, belastende Themen spreche, bekomme ich manchmal zur Antwort: „Ach, das wird schon wieder, du musst einfach positiv denken!“ 

Doch was macht eine optimistische Haltung eigentlich so giftig? In erster Linie nimmt sie den Raum für wichtige, wenn auch schmerzhafte Themen, um sie auszusprechen, zu fühlen und sie auch ein Stück weit anzuerkennen. Man spricht betroffenen Personen dabei ihre Gefühle ab, was in weiterer Folge dazu führen kann, dass Menschen damit aufhören, sich mitzuteilen und ihre negativen Gefühle für sich behalten. Nicht selten begünstigt das die Entwicklung einer psychischen Erkrankung. Toxic Positivity klingt nicht nur giftig – es kann tatsächlich auch krank machen. 

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Selbstbewusst negativ sein

Manche Ereignisse im Leben sind schlicht und ergreifend negativ, es gibt nichts an ihnen, dass man durch Drehen und Wenden umkehren könnte und trotzdem wird es versucht. Als 2016 mein Partner neben mir verstarb, habe ich von vielen Seiten händeringend Argumente um die Ohren geworfen bekommen, wieso sein Tod nicht vielleicht doch einen „Sinn“ für mein weiteres Leben hatte. 

Meine Antwort darauf war stets gleichbleibend: Nein, sein Tod hatte keinen Sinn. Es war mitunter das furchtbarste, was ich jemals erleben musste und hätte ich nur eine winzige Chance gehabt, mir diesen Weg zu ersparen, ich hätte sie ergriffen. Diese Haltung habe ich mir erarbeitet, denn auch Negativität benötigt Selbstbewusstsein.

© Jaqueline Scheiber

Wieso dagegenhalten?

Weist man andere auf ihre Toxic Positivity hin, kann man oft zwei Reaktionen verzeichnen: Irritation und/oder Erleichterung. Das Ersetzen von negativen Gefühlen mit einem positiven Mindset hat eine ellenlange Tradition und zieht sich durch etliche Generationen. Während nach den Weltkriegen Traumata mit dem Wiederaufbau-Antrieb weggeschoben wurden, entwickelte sich die Gesellschaft im 20. Jahrhundert zunehmend zu einem Ort, an dem bloß der Blick nach vorne gerichtet zählt. 

In vergangenen Verletzungen zu verweilen, gilt seit jeher als schwach und ist dahingehend auch charakteristisch für eine Gesellschaft, die sich ungern mit ihren Fehlern und Versäumnissen beschäftigt. Auch heute noch ist Aufarbeitung ein Randbegriff und bedarf Überwindung. Daher ist Toxic Positivity nicht nur eine Bezeichnung für einen Trend, der die Feel-Good-Vibes aus dem Internet verbannt, er ist eine politische Haltung und bietet die Grundlage um sozioökonomische Missstände, wie Rassismus oder Sexismus aufzuzeigen.

Das Gute und das Schlechte vermengt

Zunehmend mehr Menschen fühlen sich bestärkt und fassen Mut der giftigen Fröhlichkeit mit schonungsloser Aufrichtigkeit zu begegnen. Was die einen irritiert, kann für andere eine große Erleichterung darstellen. Denn was nun Kalendersprüchen und substanzlosen Phrasen weicht, ist Empathie und Solidarität untereinander. Erleichterung bezeichnet auch das Gefühl angenommen und wahrgenommen zu werden. Selten ist etwas so heilsam, wie die Anerkennung der eigenen Realität und das Gefühl ernst genommen zu werden. 

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Sprüche wie „Am Ende wird alles gut und ist es nicht gut, dann ist es nicht das Ende“ halte ich für völligen Unsinn. Denn Zeit unseres Lebens werden wir mit großen und kleinen Herausforderungen konfrontiert. Wir werden Entwicklungen durchlaufen, Geschichten schreiben und gute, als auch weniger gute Entscheidungen treffen. 

Statt das künstliche Grinsen zu trainieren, möchte ich daran appellieren, bei jeder Gelegenheit das „Aushalten“ zu üben. Emotionen und Erlebtes zu benennen und für einen gewissen Zeitraum auf dem Brustkorb zu balancieren. Denn das Gute und das Schlechte gehören zusammen und am Ende wird von einem Leben keine Kosten-Nutzen-Rechnung erstellt, sondern es wird die Liebe und die Ehrlichkeit sein, die länger auf dieser Welt bleibt, als wir. 

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.