Hinter den Bergen: Was es bedeutet, wenn plötzlich halb Österreich wandern geht

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Das Gipfelbier liegt in der Hand, die Wanderschuhe baumeln über einem Abgrund und glückliche Paare stehen in Ziphosen neben dem Gipfelkreuz. Das Internet ist momentan voll mit Menschen, die wandern – und ihren Fotos. Warum plötzlich halb Österreich auf dem Berg ist und was das für Wander*innen bedeutet, werde ich in dieser Kolumne ergründen. 

Eigentlich wollte ich mit einer Freundin diesen Sommer auf ein Techno-Festival nach Kroatien fahren. Wegen Corona findet das natürlich nicht statt, was gut und wichtig ist, aber sie will nun stattdessen den Schneeberg besteigen. Statt Bikini und Techno also Wanderschuhe und Wiener Alpen. Ich frage mich an dieser Stelle wirklich: Was ist nur aus uns geworden? Sind wir jetzt alt oder ist das nur Corona?

via Unsplash | Markus Spiske

Durch die Krise haben sich die Hobbys in meinem Freund*innenkreis verschoben und zwar in Richtung Ü50-Wochenendgestaltung. Rund um einen See radeln, wandern, campen, Mehlspeisen essen und das alles in Österreich. Schließlich schmeckt bei uns das Essen ja eh so gut und das Wetter ist in Italien oftmals ebenso regnerisch. Herrlich praktisch ist das vor allem, denn man kann seine besten Freund*innen gleich zum Sonntagsausflug mit Mama und Papa mitnehmen, weil eigentlich machen wir jetzt eh alle dasselbe.

via Unsplash | Paul Gilmore

Die Renaissance des Wanderns

Eigentlich ist es nur logisch, dass nach dem exzessiven Kochen, Backen und Garteln jetzt die österreichische Freizeitgestaltung an die Reihe kommt. Und weil wir halt kein Meer und dafür viele Berge haben, geht man eben wandern. Und so postet man statt Fotos aus dem Yoga-Camp auf Bali nun eben welche von der Besteigung des Traunsteins. Oder versucht es zumindest. Mein Instagram-Feed ist bumsvoll mit Bildern vom Wandern. Diese werden mit #wandernmachtglücklich oder #gipfelglück versehen. Konkrete Zahlen zum Wanderboom in Österreich gibt es nocht nicht. Die Naturfreunde sprechen aber schon seit längerem vom “Trend des Wanderns für Jung und Alt”

via Unsplash | Simon Berger

Neues Hobby Wandern?

Eigentlich dachte ich ja, dass wir alle mit dem Wandern dann irgendwann mit Ende 30 anfangen. Nun ist es doch etwas früher so weit. Wandern ist eigentlich auch das ideale Hobby: Bis auf Schuhe braucht man nicht viel. Man kann, wenn man will, von der Haustüre weggehen und dabei dann dauernd geile Dinge essen, weil man ja so viel Sport macht. Es ist Achtsamkeit, Bewegung und Ausgleich in einem.

Mangels Alternativen wandern nun auch einige, die es vorher nicht taten. Vom Nischensport, zumindest in meiner Generation und Bekanntenkreis, ist Wandern nun im Mainstream angelangt. Eine Freundin beschwerte sich letztens auch schon über die ganzen Leute, die nun plötzlich am Gipfel anzutreffen sind. Crowded Gipfelkreuz sozusagen, ja kein ordentliches Foto kann man noch machen. Jetzt hat man nicht mal mehr am Berg seine Ruhe. Und diese neuen Wanderbegeisterten gehen eh nur auf den Berg rauf, wo sie die Hälfte mit dem Auto fahren können.

via Unsplash | Simon Berger

Geht schon, gemma!

Meine eigene Beziehung zum Berg ist ja eher durchwachsen. Ich wandere eigentlich gar nicht so gern. Ich liege viel lieber mit einem Spritzer in der Sonne und gehe baden. Aber weil so viele rund um mich dauernd wandern wollen, wie zum Beispiel mein Freund oder mein Bruder, packt mich dann doch der Ehrgeiz. 

Leider fehlt es mir komplett an Geduld oder was man in der Fachsprache  “Ausdauer” nennt. Zu Beginn schwappe ich vor Motivation fast über. Jawoi, heute mach’ ich 10 Gipfel! Geht schon, gemma! Bis zur Hälfte hält sich das auch noch und dann wirkt der Gipfel schon zum Greifen nahe. 

via Unsplash | Paul Gilmore

Wenn es dann allerdings an das Eingemachte geht, beginne ich mit mir selbst zu kämpfen. Mit dieser Stimme, die mich immer und immer wieder fragt, warum ich mir das eigentlich selbst erneut antue. Ich rede dann entweder gar nichts mehr und starre bewusst auf den Boden oder werde sehr wütend. Das war es dann auch mit meiner Achtsamkeit für mich. Am Berg bin ich schnell mal wütender, als eingesperrt wegen Falschparker*innen in der Bim im 18. Wiener Gemeindebezirk. 

Wenn wir dann endlich oben angelangt sind, nach unten schauen können und die Berge sich neben uns reihen, habe ich all das natürlich schon längst verdrängt. War eh alles halb so schlimm. Bis ich dann beim nächsten Mal wieder daran erinnert werde.

via Unsplash | Andreas Selter

Über die Autorin, Eva

Eva Reisinger wuchs irgendwo im Nirgendwo in Oberösterreich auf. Sie war Österreichkorrespondentin für das junge Magazin des ZEIT-Verlags, kann einen Doppelliter Bier anschreien und am 14. Jänner erschien ihr erstes Buch „Was geht, Österreich?“. Sie lebt als freie Autorin in Wien.