Hinter den Bergen: Warum man in Österreich ja gar nichts mehr sagen darf (und das gut so ist)

  • Lesedauer: 3 Minuten

Selbst in Österreich darf man heute nicht mehr alles sagen. Das passt einigen nicht. Sie wittern Zensur. Eine Kolumne über angebliche Meinungsfreiheit und warum es eigentlich gar nicht so schwer ist, sich nicht wie ein Vollkoffer zu verhalten. 

 

Du weist jemanden darauf hin, dass man dieses oder jenes nicht (mehr) sagt. Erklärst vielleicht sogar, warum es sexistisch, rassistisch, homo- oder trans-feindlich ist. Du denkst, Mission erfüllt. Schließlich schreiben wir das Jahr 2022. 

Meistens kannst du aber deinen Satz nicht einmal beenden. Der erste Ton ist ein lautes Schnaufen. Dann weht dir der Wind des heftigen Kopfschüttelns deines Gegenübers entgegen. 1, 2, 3. “Man darf ja heute wirklich gar nichts mehr sagen!” Da ist sie. Die Keule. Mit dem Satz wirft dein Gegenüber dir gleichzeitig Zensur, die Beschneidung der Meinungsfreiheit und Cancel Culture vor.

Wir feiern im Juni Pride-Month, darum möchte ich zu diesem Vorwurf in dieser Kolumne ein paar Sätze sagen. Die Diskussion darüber, was man heute noch sagen darf und was nicht, dreht sich seit Jahren im Kreis. Immer wieder füllen angebliche Identitätsdiskussionen das Internet, das Feuilleton und die Kommentarspalten. Meistens nachdem irgendjemand etwas Saublödes gesagt hat. Mal geht es ums Gendern, dann um menschenfeindliche Sprache oder anders problematische Begriffe. 

Edited by BAM! | Johanna

„Wer beklagt, dass man über etwas nicht mehr reden dürfe, ist typischerweise sehr kurz davor, gerade zu diesem Thema, das nicht genannt werden soll, in öffentlicher Rede in Erscheinung zu treten“, erklärt der Kommunikationswissenschaftler Christian Schwarzenegger, der zu Medien und Kommunikation an der Uni Augsburg forscht. Diese Keule schwingt also bevorzugt jemand, der oder die dieses und jenes längst ausgesprochen oder zumindest gedacht hat. 

Von wem sprechen wir hier? 

 

“Die Klage von angeblichen Meinungsverboten kommt auffallend oft von Leuten, die es gewohnt waren, unwidersprochen zu bleiben. Wenn man nachhakt, stellt sich meist raus, dass Kritik und Widerspruch (etwa durch Minderheiten, Frauen usw.) mit Meinungsverbot gleichgesetzt wird”, twitterte die Soziologin Franziska Schutzbach

Es glauben also genau jene Menschen nichts mehr sagen zu dürfen, die ohnehin dauernd die Klappe offen haben und es bisher gewohnt waren, dabei nicht gestört zu werden. Wir sprechen von privilegierten Personen in der Gesellschaft, die in irgendeiner Form über Macht verfügen.

Typisch Österreich?

 

Diese Diskussion ist natürlich per se keine österreichische. Und trotzdem passt die Mentalität, die dahinter steht, ganz wunderbar zum Land. Eine Haltung irgendwo zwischen Trotz und Gesudere darüber, warum plötzlich alles politisch korrekt sein muss. 

Alle reden ständig davon, dass man nichts mehr sagen darf. Derweilen werde ich das Gefühl nicht los, dass heute vieles wieder sagbar ist, was es lange nicht mehr war. Überhaupt im Bereich Rechtsextremismus und Antisemitismus. 

Mindestens latenter Rassismus ist in Österreich sowieso immer und überall zu spüren. Oft wird er auch ausgesprochen und ausgelebt. Noch heute ist in zahlreichen Restaurants als Dessert ein »Mohr im Hemd« auf der Karte zu finden. Menschen sprechen selbstverständlich das N-Wort oder Z-Wort aus. »Ausländer« benutzt man genauso als Schimpfwort wie »behindert« oder »schwul«. 

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So weit kann der Zug mit der korrekten Sprache also gar nicht gefahren sein, sonst wäre doch zumindest das keine Diskussion mehr. Vieles davon wird heute in Österreich genauso ausgesprochen, wie man es immer tat. Nur dass man vielleicht noch schnell anhängt, dass man das ja eigentlich nicht mehr sagen darf, es aber längst ausgesprochen hat und beim nächsten Mal wieder sagt.

Sprache verändert sich, gut so!

 

Das Bewusstsein für Sprache entwickelt sich langsam. Ähnlich wie Rassismus ist auch die Homo- und Transfeindlichkeit tief in der Gesellschaft verankert. Wer darauf aufmerksam macht, bekommt ein “Das wird man wohl doch noch sagen dürfen, das haben wir immer so gesagt!” zurückgeschleudert. Gerne wird dann in Gender-Diskussion vor dem Tod der deutschen Sprache gewarnt. Mich juckt dieses Argument ehrlich gesagt überhaupt nicht. Ich kann das nur begrüßen: Die Sprache muss brennen, solange sie Menschen exkludiert.

Edited by BAM! | Johanna

Sprache ist außerdem konstant im Wandel und das war sie auch schon immer. Man stelle sich kurz an dieser Stelle vor, dass wir noch immer so sprechen würden, wie vor 500 Jahren. Wie divers unsere Gesellschaft ist, ist heute deutlich sichtbarer als noch vor einigen Jahren. Es können sich mehr und vielfältigere Menschen an der öffentlichen Debatte beteiligen. 

Dadurch würden Sprechpositionen, Verhalten, Denkmuster auf neue Weise verhandelbar, sagt Andrea Geier, Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Genderforschung an der Universität Trier. Dabei tauchen Fragen auf wie: Wessen Wahrnehmungen und Erfahrungen zählen? Worüber wird öffentlich debattiert und wer sitzt an welchem Debattentisch? Oder ist es in Ordnung, die Kultur anderer Menschen als Kostüm zu tragen? 

In Österreich merken wir, es gibt endlich Veränderungen in der Debattenkultur, doch anstatt diese anzuerkennen, reagieren einige mit dem Argument der Zensur. Laut Gesetz ist die Meinungsfreiheit übrigens noch nie frei gewesen. Sie endet dort, wo die Würde eines Menschen verletzt wird. Konkret: “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.” 

Edited by BAM! | Johanna

In Wahrheit gibt’s keine neue Diskussion darüber, was man heute noch sagen darf und was nicht. Dazu gibt es schon lange Regeln, nur dass man diese mittlerweile auch in der Sprache mitdenkt. Denn heute wissen wir, dass Rassismus, Sexismus und Homo- und Transfeinlichkeit Menschen töten. Wer sich also fragt, ob man dieses oder jenes noch sagen darf, kann sich selbst eine kurze Testfrage stellen: Verletze ich mit dieser Aussage die Würde eines Menschen?
Wenn nein, fein.
Wenn ja, sei kein Vollkoffer und entwickle dich.

Über die Autorin, Eva

Eva Reisinger wuchs irgendwo im Nirgendwo in Oberösterreich auf. Sie war Österreichkorrespondentin für das junge Magazin des ZEIT-Verlags, kann einen Doppelliter Bier anschreien und am 14. Jänner erschien ihr erstes Buch „Was geht, Österreich?“. Sie lebt als freie Autorin in Wien.