Wie ich als Migra-Kind mit FOMO aufgewachsen bin

  • Lesedauer: 3 Minuten

FOMO wird heutzutage unter jungen Leuten vor allem durch Beiträge auf Social Media getriggert. Schöne Urlaubsfotos, lustige Fortgeh-Videos oder Storys vom letzten Brunch. Ob bewusst oder unterbewusst: Es wurde wissenschaftlich bewiesen, dass Social-Media-Beiträge wie diese ein Unbehagen in uns auslösen – wir sind traurig darüber, kein Teil dieser Erinnerungen sein zu können. Doch Migra-Kids wie ich kennen FOMO schon seit der Kindheit.

Tabu: Übernachtungen bei Freund*innen 

Wer als Migra-Kid im Teenager-Alter bei Freund*innen übernachten durfte, gehört schon automatisch einer Minderheit an. Ob realistisch oder unrealistisch ist eine andere Frage – aber es ist eine riesige Angst unserer Eltern, ihre Kinder bei anderen übernachten zu lassen.

Wenn das noch dazu Alman-Freund*innen sind, braucht die Diskussion gar nicht stattfinden. Ich erinnere mich, dass mich meine Mutter immer ausfragte, ob meine Freundin, mit der ich damals eine Pyjama-Party schmeißen wollte, Brüder hat, oder ob der Vater noch zu Hause lebt. Und wie alt ihre Brüder sind. Ob die Eltern geschieden sind oder nicht. Es ging in erster Linie immer um die Präsenz anderer Männer. Es gibt wahrscheinlich unterschiedliche Gründe. Doch ich denke, dass einer der Gründe für das strenge Verhalten unserer Eltern, die Angst vor sexuellen Erfahrungen ist. Überhaupt vor der Eheschließung.

© Cansu Tandogan

Wer Freiheit will, der heiratet.

Ehe – sie ist für viele oft der Schlüssel zur Freiheit. Vor allem für Frauen. Alle romantischen und sexuellen Erfahrungen außerhalb einer Eheschließung sind oft streng tabuisiert und verwerflich. Man spricht nicht darüber. Und hat sexuelle Erfahrungen oft heimlich. Ich habe Single-Freundinnen, die von Urlaubsplänen nach ihrer Hochzeit träumen, weil ihre Eltern es ihnen niemals erlauben würden. Sonst heißt es: Was macht eine unverheiratete Frau im Ausland? 

Es dreht sich in erster Linie um den Ruf der Familie und der Tochter. Tatsächlich ist es oft Slut-Shaming, mit dem man in solchen Situationen konfrontiert ist: Du reist nur ins Ausland, um Sex zu haben. Du gehst nur auf Urlaub, um Männer kennenzulernen. Es klingt wahrscheinlich absurd für diejenigen, die sich nie Gedanken darüber machen mussten – doch es ist leider bittere Realität.

Moving Out – aber erst mit einem Ring auf deinem Finger

Und auch was das Thema Ausziehen aus dem Elternhaus angeht, sind unsere Mütter und Väter im Normalfall streng und konservativ. Wer auszieht und davor nicht heiratet, kann schnell mal Schande über die Familie bringen. Ich erinnere mich, dass mein Auszug mit 18 Jahren nach Wien ziemlich viel Gesprächsstoff für die Migra-Familien in meinem Heimatdorf mit sich brachte. 

Sie erzählten, dass ich nicht wegen meines Studiums ausgezogen sei, sondern weil ich in Clubs und Bars chillen wollte. Ich habe sowohl in Clubs gechillt, als auch mein Studium beendet. Das eine hat das andere nicht ausgeschlossen – und trotzdem würden das viele Migra-Eltern niemals verstehen wollen. Es gilt entweder das eine oder das andere. Laut ihnen heißt das: Ausziehen sollte eine Frau dann, wenn sie geheiratet und einen Mann an der Seite hat – jemand, der auf sie “aufpasst” und die Ehre der Familie pflegt. 

Respekt oder Freiheit?

FOMO sollte – wenn es nach unseren Eltern geht – eigentlich Standard sein: Du sollst etwas verpassen. Für uns ist gerade deswegen die Angst, etwas zu verpassen, seit jeher da. Wir beobachten andere Kinder dabei, wie sie Pyjama-Parties genießen, auf Maturareise gehen oder mit 16 Jahren ihr erstes Tattoo oder Piercing bekommen – teilweise von den eigenen Eltern finanziert. 

Am Ende des Tages stehen wir Migra-Kinder vor der Entscheidung: Wollen wir Freiheit oder unsere Eltern glücklich machen? Sollen wir unser Leben leben oder unsere Eltern und ihre Werte “respektieren”? Es ist ein Konflikt, der uns unser ganzes Leben lang begleitet. Aber natürlich ist die Angst da. Etwas zu verpassen. Zeit zu verlieren. Nicht ausreichend zu leben, um seinen Kindern mal Geschichten erzählen zu können.

© Cansu Tandogan

Entweder – oder? Ich kann auch beides.


Doch am Ende des Tages steht uns allen selbst die Entscheidung zu. Jede*r muss für sich selbst wissen, ob er*sie das eine oder das andere machen möchte. Und auch ein Doppelleben ist nicht verwerflich, solange es um deine eigene Sicherheit geht und du dabei niemandem schadest: Es ist okay, gewisse Werte der Eltern zu respektieren und gleichzeitig den eigenen Interessen nachzugehen. 

Wir müssen uns endlich von der Scham befreien, dass wir als nachfolgende Generation mehr Privilegien und Freiheiten haben und auch Erlebnisse machen können, die unsere Eltern damals nicht hatten, aufgrund von Flucht, Krieg und Trauma. Es ist notwendig, seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche im Leben wahrzunehmen, um ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Und das steht uns allen zu.

Über Berfin

Berfin Marx studiert Politikwissenschaften. Auf ihrem IG-Account @berfin.marx schafft sie einen Safe Space, bei dem sie über Rassismus, intersektionalen Feminismus und Klassenbewusstsein aufklärt und andere Menschen dazu inspiriert, sich zu engagieren oder einfach nur ihren Wissenshorizont zu erweitern.

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Über Berfin

Berfin Marx studiert Politikwissenschaften. Auf ihrem IG-Account @berfin.marx schafft sie einen Safe Space, bei dem sie über Rassismus, intersektionalen Feminismus und Klassenbewusstsein aufklärt und andere Menschen dazu inspiriert, sich zu engagieren oder einfach nur ihren Wissenshorizont zu erweitern.