Sprachgewitter: Einsamkeit zwischen Alleinsein, Freundschaften und Dating Apps

  • Lesedauer: 3 Minuten

“Einsamkeit ist nur ein Wort für Einsamkeit”, so beginnt ein Gedicht von Ludwig Fels, das mir über die Jahre immer wieder in die Hände fällt und scheinbar nie an Relevanz verliert. 

Mit diesem ersten Satz nimmt Ludwig Fels einem Wort, das wir alle in irgendeiner Form kennen, die Schwere, die damit einhergeht. Er sagt: Das ist nur ein Begriff, nur aneinandergereihte Buchstaben. Er sagt auch: Das kann wieder vorübergehen.

Wenn wir an Einsamkeit denken, denken wir an dunkle Räume, verlassene Menschen. Es sind nur negative Bilder, die damit verbunden sind. Einsamkeit, das ist auch geknüpft an die Abwesenheit einer romantischen Beziehung. 

© BAM! | Marietta Dang

Nach zwei Jahren Pandemie wissen vor allem Menschen, die keine*n Partner*in hatten, wie es sich anfühlt, einsam zu sein. Die sozialen Kreise wurden auf ein Geringstes minimiert, die natürlichen Austauschmöglichkeiten unterbunden.

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Wo beginnt Einsamkeit?

Nach einer Trennung im vergangenen Jahr muss auch ich das Alleinsein wieder lernen. Es ist befremdlich, in einer Welt zu leben, die darauf ausgerichtet ist, nur einen Lebensentwurf zuzulassen – den zu zweit. Doch was ist eigentlich der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein? Damit beschäftigt sich der Autor Daniel Schreiber in seinem kürzlich erschienenen Essay “Allein”. Der Grad ist schmal, wie so oft – denn wo hört Alleinsein auf und wo beginnt die Einsamkeit?

Online Dating Apps bieten schnelle Abhilfe auf diese Frage. Sie suggerieren, dass man aufkommende Einsamkeit mit ein paar Wischbewegungen verbannen kann. Sie bieten die Antwort auf eine Sehnsucht, die vielleicht gar nicht in uns selbst, sondern in einer Gesellschaft entstanden ist. Ich merke, dass in Unterhaltungen mit anderen schnell die Frage aufkommt: “Und wie läuft’s bei dir mit dem Dating?“, weil es völlig normal scheint, als Single regelmäßig auf Dates zu gehen und Annäherungsversuche zu starten.

© BAM! | Marietta Dang

Wie ich lieben und in Gesellschaft leben will

 

Ich habe mich nie gefragt, ob ich in einer romantischen Beziehung sein will. Ich bin schlicht und ergreifend davon ausgegangen, dass das der natürliche Verlauf meines Lebens sein muss: die Suche nach einem Partner.

Heute weigere ich mich mit Nachdruck eine Antwort auf eine Frage zu suchen, die ich mir bisher gar nicht gestellt habe. Was, wenn allein zu sein, nicht schlecht ist?

© BAM! | Marietta Dang

In meiner Reise zurück zu mir ist mir aufgefallen, dass ich viele Qualitäten, die ich brauche, um mich nicht einsam zu fühlen, in meinen Freundschaften finde. Sogar viel ausgeprägter, als es vergangene romantische Beziehungen zuließen. Zum Beispiel mich mitteilen zu können, meine Gedanken ungefiltert zu teilen und verstanden zu werden. Mit jemandem zu lachen und oder zu schweigen. Denn allem voran ist es nicht die bloße Anwesenheit ein oder mehrerer Personen, die heilsam ist, sondern das Gefühl erkannt zu werden und zweifellos dazuzugehören. 

Zweifel bei Seite: Ich möchte mir sicher sein, auch wenn ich genervt von dir bin

 

Zweifel kenne ich vor allem im Zusammenhang mit Beziehungen, die aufgeladen sind und einem gewissen Bild, nämlich dem eines glücklichen Paares, entsprechen müssen. Das kristallisiert sich meistens im Streit heraus.

In romantischen Beziehungen führen wiederholte Auseinandersetzungen, Diskussionen oder Streitigkeiten oft geradewegs zu Unsicherheit und Zweifel: Man debattiert über Kompromisse und Grundsätze und fragt sich, ob der gemeinsame Nenner ausreicht. 

Wenn ich in meinen Freundschaften streite, wird viel klarer, worum es eigentlich geht: Reaktionen, Emotionen und der Frust, den das Leben manchmal mit sich bringt. Jemand ist schlecht gelaunt, jemand ist genervt oder von einer Situation irritiert, vielleicht aber auch nur hungrig. Jemand hat was Unbedachtes gesagt oder auf eine wichtige Sache vergessen. Am Ende des Tages wächst selten ein ausgeprägtes Drama daraus.

© BAM! | Marietta Dang

Ich erlebe Streitigkeiten mit Freund*innen als positiv, weil sie mir vor Augen führen, dass das zu einer zwischenmenschlichen Beziehung dazu gehört und sie nicht in Frage stellt. In Österreich sagt man dazu lapidar: Es geht sich aus. Und damit meint man, dass der Rahmen der Beziehung so stabil ist, dass ein Streit ihn nicht ins Wanken bringen kann. Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass wir in Freundschaften, im Gegensatz zu romantischen Beziehungen, nicht mit dem Anspruch aufgewachsen sind, sie müssten alle Aspekte unserer Persönlichkeit abdecken und uns mit einer zweiten Person verschmelzen lassen.

Unter Menschen sind wir nicht einsam

 

Und das ist vielleicht der springende Punkt, wenn wir über Einsamkeit sprechen. Denn Einsamkeit sollte nicht an der Stelle entstehen, an der wir beginnen, allein zu sein, sondern da, wo wir tatsächlich Anknüpfungspunkte an andere Menschen verlieren. Und das ist ein großer Unterschied. 

© BAM! | Marietta Dang

Wir dürfen all diese aufgeladenen und bedeutungsschwangeren Begriffe hinterfragen: Liebe, Beziehung, Freundschaft und Einsamkeit. Ich habe gerade erst damit begonnen und genieße das Nachdenken darüber, was alles nach der ewigen Erzählung und der einzigen Option einer romantischen Liebe folgen könnte. Spoiler Alert: Es ist nicht zwangsläufig die Einsamkeit.

Über Jaqueline

Als Sozialarbeiterin und Feministin eher an Problemlösungen interessiert, wirft sie in ihren Texten und Kolumnen meist Fragen zu Identitätsfindung, Körperbewusstsein, und einer Bandbreite an tiefen Emotionen auf. Neben Sprachgewitter teilt sie die alltägliche Ästhetik ihrer Wahrnehmung auf ihrem Instagramaccount minusgold.