Körperkampf: Warum wir in der Sportwelt unserer psychischen Gesundheit zuliebe alle Körper repräsentieren müssen

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Florentina von Queer Muscle ist Fitnesstrainerin und bricht mit ihrer Einstellung die Standards in der Fitnessbranche: ALLE Körper müssen repräsentiert werden. Denn wenn der eigene Körper oder die eigene Identität durchgehend gerechtfertigt werden müssen, sind körperliche Aktivitäten oft das Letzte, was wir tun wollen. Dabei ist Sport ein immenser Mental Health Booster. Flo verrät im Interview, wie du mit Thin Privilege aufbrechen kannst und gibt Tipps, wie du deine mentale Gesundheit boosten kannst.

Flo, warum ist es auch für die mentale Gesundheit so wichtig, ALLE Körper und Identitäten im Sport zu repräsentieren? 

Weil es extrem hart ist, durchgehend unsichtbar gemacht zu werden. Weiße cis-hetero, dünne, able-bodied und normschöne Personen haben so unfassbar viele Privilegien und werden zusätzlich auch ständig repräsentiert. Wer nicht alle dieser Privilegien genießt, muss im Alltag schon viele Kämpfe kämpfen. 

Die Bestätigung, auch außerhalb dieser Normen valide zu sein, kommt dann meistens – wenn überhaupt – hauptsächlich von innen heraus. Das ist extrem anstrengend und ist auf Dauer nicht gesund und auch nicht möglich. Ein validierendes Umfeld ist unfassbar hilfreich und wichtig. Und jede einzelne Situation, in der Repräsentation stattfindet, hilft dabei.

© BAM! | Marietta Dang

Warum ist das Fitnessstudio oder der Turnsaal oder Outdoor-Training im Park nicht immer der beste Ort für Sport? Also warum Safe Space? 

Für viele Menschen bedeutet der Alltag sich durch unsichere, teils gefährliche Räume bewegen zu müssen und nie zu wissen, wo die nächste gefährliche Situation wartet. Jede Begegnung mit Menschen kann eine potenzielle Gefahr darstellen. Beim Eis kaufen misgendert werden, der Pfiff von der anderen Straßenseite, als einzige Person im Supermarkt den Tascheninhalt herzeigen müssen, nicht wissen, ob das neue Sofa der Nachbarin für das eigene Gewicht zugelassen ist, schon wieder keine Rollrampe…

 

Sport zu treiben kann bedeuten, sich noch verwundbarer zu machen. Wenn der eigene Körper oder die eigene Identität durchgehend gerechtfertigt werden muss, sind körperliche Aktivitäten oft das Letzte, was wir tun wollen. Safer Spaces sollen einen Ort bieten, an dem endlich mal nicht durchgehend die eigene Sicherheit überprüft werden muss oder Acht gegeben werden muss, wo die nächste Gefahr lauert. Der Kopf soll endlich mal frei sein. Es soll darin Platz für eben jene Sache sein, die gerade gemacht wird: in diesem Fall Sport.

Du stichst ja in der Sportwelt gerade voll heraus, weil du eine Datenbank auf Google aufbauen willst, in der du alle Körper integrierst. Wie läuft das?

Die gesamte Sportwelt wird von weißen, able-bodied cis Männern mit Sixpack dominiert. Wer nach guter Kniebeugen-Technik im Internet sucht, wird genau diese Sixpack-Dudes finden, wie sie Kniebeugen demonstrieren. Ich arbeite an einer Datenbank, in der möglichst viele Sportübungen von möglichst vielen Menschen mit unterschiedlichsten Körpern gezeigt werden. Wer dort dann nach guter Technik für Kniebeugen sucht, wird dann statt dem Dude von vorhin vielleicht eine mehrgewichtige, nicht-binäre Person finden. Wer mitmachen will, kann sich übrigens gerne bei mir melden. 

Social Media hat ja auch schlechten Einfluss auf unsere mentale Gesundheit, wie brichst du die Social Media Blase auf, um beim Thema Sport nicht nur auf die körperlichen Erfolge aufmerksam zu machen?  

Was mir extrem wichtig ist, ist zu zeigen, dass es bei Sport um all das geht, was in unserem Kopf passiert. Sport kann das Wohlbefinden stärken, das Selbstvertrauen verbessern und die Selbsteinschätzung akkurater machen. Sport kann Stress reduzieren und dabei helfen, dass wir einen positiveren und wertschätzenderen Umgang mit unseren Körpern erlernen. All das muss auf Social Media angesprochen werden.

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Wie können wir uns davon lösen, dass Sport nur dazu da ist, um sich zu optimieren? 

 

Klein anfangen. Aufhören, die Körper anderer zu kommentieren, ist mal ein sehr guter Start. 

Dann wahrnehmen, wenn wir unseren eigenen Körper bewerten und auch damit aufhören.

Wer bereits Sport macht, kann sich mal ein Ziel suchen, das nichts mit dem Aussehen zu tun hat. 

Es geht darum, unser Mindset langsam, aber sicher zu verändern. Die Ziele sollten Spaß machen und keinen Stress verursachen.

Aber all das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, da wir in einer Gesellschaft leben, die uns sehr oft ungefragt Meinungen aufdrückt. Ich glaube, um diese Muster komplett aufzubrechen, muss noch sehr viel passieren. Aber ein guter Anfang ist es, sich, wenn möglich, mit Menschen zu umgeben, die gesunde Einstellungen zu dem Thema haben und diese auch kundtun. Manchmal brauchen wir auch einfach Bestätigung und Rückendeckung, wenn wir durchgehend gegen den Strom schwimmen.

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Was sind so erste Steps, die wir machen können, um Thin Privilege im Sport zu brechen?

  • Körper anderer Menschen nicht kommentieren! 
  • Aktiv und laut gegen Fatshaming auftreten, gerade dann, wenn man selbst Skinny Privilege genießt.
  • Menschen und Institutionen unterstützen, die zeigen, dass nicht nur dünne Leute Sport machen. Es gibt so viele tolle Sportler*innen, die sich selbst tagtäglich angreifbar machen, weil sie ihre Körper beim Sport zeigen, nur um mehr Sichtbarkeit zu generieren.

 

  • Weiterbilden, Informationen beschaffen und verbreiten und dann…
  • …aktiv gegen den Mythos arbeiten, dass mehrgewichtige Menschen unsportlich oder ungesund seien. Das ist einfach falsch.
  • Menschen nicht dazu gratulieren, dass sie ihre „Gesundheit endlich selbst in die Hand nehmen und abnehmen“, weil sie erzählt haben, dass sie Sport gemacht haben. 
  • Und all diese Steps auch Kindern beibringen. 

Wie gehst du mit deinen Klient*innen um, die vielleicht gerade psychisch down sind? 

Sport ist ganz sicher nicht immer die beste Lösung. Aber oft eine bessere, als wir denken. Wenn Klient*innen absagen, habe ich selbstverständlich Verständnis. Wenn sie es aber bis zu mir geschafft haben, dann machen wir eigentlich immer zumindest ein bisschen Sport. 

Mir ist es sehr wichtig, einen möglichst sicheren Platz zu schaffen. Das beinhaltet auch, dass erzählt, geweint und geflucht werden darf. Und das wird es auch. Aber meistens gehen Klient*innen mit einem Lächeln nach Hause, egal, wie sie davor gekommen sind. Weil ganz wichtig: Oft hilft es, darüber zu reden. Und für Reden ist neben Sport bei mir immer Platz.

Was sind deine Tipps, um mit Sport die mentale Gesundheit zu boosten? 

Sport soll Spaß machen. Es sollte auch darauf geachtet werden, welche Sportart zu der jeweiligen Person passt. Teamsport oder lieber alleine? Immer gleich bleibende, meditative Bewegungen oder lieber viel Abwechslung? Sportarten können so unterschiedlich sein.

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Außerdem sollte der Sportbegriff ein wenig ausgedehnter verstanden werden. Oft denken wir bei „Sport“ gleich an sehr intensive Einheiten. Aber für die mentale Gesundheit ist es gar nicht so wichtig, WAS wir tun, sondern viel mehr, DAS wir was tun. Regelmäßigkeit ist wichtiger als Intensität. Spaziergänge sind zum Beispiel eine wunderbare Möglichkeit, mehr Bewegung in den Alltag zu bekommen und die mentale Gesundheit zu boosten.

 

Hast du auch Tipps außerhalb der Sportwelt? 

Ich glaube, da gibt es nicht das eine Rezept, das für alle gültig ist. Es kann helfen, eine ganz persönliche Liste mit Dingen zu schreiben, die sich gut anfühlen. Eine Ressourcenlandkarte. Und immer, wenn sich etwas toll anfühlt, darf es auf diese Karte rauf. Die Sonnenstrahlen waren gerade richtig angenehm? Sofort aufschreiben! Die Suppe erinnert an eine Zeit voller Geborgenheit? Gleich das Rezept notieren! Die Meditation war wohltuend? Steht bereits auf der Liste. Auch Therapie sollte hier in der Aufzählung nicht fehlen. Sollte private Therapie nicht möglich sein, gibt es mancherorts auch gratis Angebote.

 

Über Florentina

Florentina (oder Flo) verwendet im Deutschen keine Pronomen oder sie/ihr und ist 31 Jahre alt. Flo arbeitet seit einigen Jahren hauptberuflich im Personal Training. Sie versucht die Sportwelt für FLINTA*s ein wenig sicherer und schöner zu gestalten. Unter queer_muscle ist sie auf Instagram oder unter www.QueerMuscle.com im Netz zu finden.

Über Lena

Die Kärntnerin mit Chicago-Big-City-Life-Wurzeln ist immer auf der Suche nach interessanten Geschichten und Menschen. Hat es vom Politikwissenschaftsstudium über die Print-Redaktion und der Liebe zu Online-Formaten und kreativem Schreiben zu BAM! verschlagen.